Zentralkomitee-Präsident für Lockerung des Zölibats
Nach der Vielzahl von Missbrauchsfällen hat ZdK-Präsident Alois Glück angeregt, über eine Lockerung des Zölibats nachzudenken. Außerdem ist bekannt geworden, dass der Missbrauchsskandal auch Papst Benedikt XVI eingeholt hat.

Angesichts der Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen hat der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, eine Lockerung des Zölibats ins Gespräch gebracht. Die Kirche müsse "Konsequenzen struktureller Art ziehen und dabei reflektieren, ob es kirchenspezifische Bedingungen gibt, die den Missbrauch begünstigten", sagte Glück der "Süddeutschen Zeitung". "Dazu gehört zweifellos eine Auseinandersetzung mit dem ganzen Thema Sexualität, angefangen vom Umgang damit bis hin zur Auswahl des kirchlichen Personals." Die Lockerung des Pflichtzölibats - der Ehelosigkeit von Priestern - sei "ein Weg", sagte Glück. Allerdings sei damit das Problem nicht gelöst.

Nun müsse die Kirche den "Willen zur vorbehaltlosen Aufklärung" der Missbrauchsfälle beweisen, forderte der langjährige CSU-Spitzenpolitiker. Oberstes Gebot müsse sein, die Opfer in den Mittelpunkt zu stellen und nicht zu versuchen, durch Schweigen das Ansehen der Kirche zu schützen. Glück sagte: "Wer hier nicht mitgeht, gefährdet die Glaubwürdigkeit der Kirche, oder anders ausgedrückt: Er versündigt sich an den Opfern und der Kirche." Die Welle an Missbrauchsfällen nannte der ZdK-Präsident einen Albtraum: "Es ist die schwerste Belastung unserer Kirche, seit ich denken kann."

Im Deutschlandfunk (Köln) sagte Glück zudem: "Ja, insgesamt muss man sicher vieles überdenken, auch natürlich die Inhalte der Ausbildung." Glück rief die Verantwortlichen in der Kirche auf, sich mit dem "ganzen Thema Sexualität" auseinanderzusetzen. Allerdings sei die "Frage des Pflichtzölibats völlig unabhängig von dem Thema Missbrauch. Es wäre falsch, da einen unmittelbaren Zusammenhang herzustellen und das habe ich nie getan", sagte der langjährige CSU-Politiker. "Die Thematik ist viel komplexer", so Glück im Deutschlandfunk.

EKD-Ratsvorsitzender fordert Transparenz

Die Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen schaden nach den Worten des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, auch dem Ansehen der evangelischen Kirche. Die Öffentlichkeit unterscheide in solchen Fragen kaum zwischen den Konfessionen, sagte der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Samstag in Köln. Der Missbrauch von Minderjährigen sei zudem kein katholisches Phänomen, es gebe ihn etwa auch bei Protestanten oder Konfessionslosen. Am häufigsten komme Missbrauch in Familien vor.

Als Konsequenz aus den zuletzt bekannt gewordenen Fällen von sexuellem Missbrauch fordert der Repräsentant der 25 Millionen deutschen Protestanten von den Kirchen Transparenz und umfassende Zusammenarbeit mit der Justiz. "Die staatliche Gerichtsbarkeit muss die Einzelfälle aufklären", betonte Schneider. Auch innerhalb der Kirche müsse es Konsequenzen geben. Dazu gehört für den EKD-Ratschef ein Täter-Opfer-Ausgleich. Wer sich an Minderjährigen vergangen habe, dürfe zudem nicht mehr als Pfarrer oder in ähnlicher Funktion arbeiten.

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, warnte davor, nur über Vorfälle zu debattieren, die Jahrzehnte zurückliegen. Jedes Jahr passierten 80.000 bis 120.000 Missbrauchsfälle, sagte Hilgers der "Rheinpfalz am Sonntag". Die sexuellen Übergriffe auf Kinder beschränkten sich zudem keinesfalls auf Schulen, Heime oder kirchliche Einrichtungen. Hilgers: "Die Mehrzahl passiert in den Familien." Ebenso wenig könne mit einer Verschärfung des Strafrechts erreicht werden. Davon lasse sich kein pädophiler Täter abschrecken. Auch mit Runden Tischen ließe sich das Problem nicht lösen, fügte Hilgers hinzu.

Skepsis über Runden Tisch

Die Generalsekretäre von SPD und CSU, Andrea Nahles und Alexander Dobrindt, warnen davor, beim Thema Kindesmissbrauch nur auf die katholische Kirche zu sehen. Nahles sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Kindesmissbrauch ist keineswegs auf die katholische Kirche beschränkt." Auch wenn viele der jetzt bekannt gewordenen Fälle aus früheren Jahrzehnten stammten, sei sie überzeugt, dass Kindesmissbrauch heute nicht seltener vorkomme als früher. CSU-Generalsekretär Dobrindt sagte, Kindesmissbrauch sei ein "gesamtgesellschaftliches Phänomen", das bisher "tabuisiert" worden sei.

Die Grünen-Politikerin und evangelische Theologin Antje Vollmer, Moderatorin des Runden Tisches über Misshandlungen in Kinderheimen, äußerte sich skeptisch über den für 23. April einberufenen geplanten Runden Tisch zum Kindesmissbrauch. Dieser sei ein "Ausdruck von Hilflosigkeit" ohne "parlamentarische Legitimation". Während der Debatte zum Thema Heimerziehung eine dreijährige Debatte im Petitionsausschuss des Bundestages vorausgegangen sei, gehe es beim Kindesmissbrauch nun offenbar nur darum, möglichst schnell "Ruhe in das Thema zu bringen", sagte Vollmer der "Welt am Sonntag".

Ansehen der Kirche beschädigt

Die jetzt bekannt gewordenen Missbrauchsfälle schaden einer Umfrage zufolge dem Ansehen der katholischen Kirche. 71 Prozent der Deutschen sagten in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für "Bild am Sonntag", die Vorfälle in kirchlichen Einrichtungen hätten der Glaubwürdigkeit der Kirche geschadet. Nur 22 Prozent sehen das anders. Unter den Katholiken sind den Angaben zufolge 67 Prozent der Meinung, ihre Kirche habe an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Für 31 Prozent ist dies nicht der Fall. Befragt wurden 502 Personen.

Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hatte am Freitag auch endgültig den deutschen Papst Benedikt XVI. erreicht. Erst hörte Joseph Ratzinger im Vatikan "tief erschüttert" den Bericht der deutschen Bischöfe über sexuelle Übergriffe. Dann wurde ein gravierender Fall aus seiner Amtszeit als Erzbischof von München und Freising bekannt: Damals durfte ein einschlägig vorbelasteter Priester wieder Gemeindearbeit machen, verging sich erneut an Jugendlichen und wurde dafür gerichtlich verurteilt. Am Abend bestätigte die Erzdiözese diese Information der "Süddeutschen Zeitung" und räumte schwere Fehler ein.

epd/dpa