Katholische Kirche verspricht "ehrliche Aufklärung"
Mit großer Betroffenheit und tiefer Erschütterung hat Papst Benedikt XVI. auf die zahlreichen Fälle von sexuellem Missbrauch in katholischen Einrichtungen in Deutschland reagiert. Die Kirche verspricht eine "ehrliche Aufklärung" der Verbrechen. Unterdessen geht der Streit zwischen den katholischen Bischöfen und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) weiter - und einer Umfrage zufolge ist das Vertrauen der Deutschen in die katholische Kirche deutlich gesunken.

Das Kirchenoberhaupt unterstütze uneingeschränkt die Maßnahmen der deutschen Bischöfe zur Aufklärung und zur Prävention von Missbrauchsfällen, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, am Freitag nach einem Treffen mit dem Papst in Rom. Benedikt ermutige die Deutsche Bischofskonferenz, den eingeschlagenen Weg der lückenlosen und zügigen Aufklärung fortzusetzen.

Der Termin beim Papst galt eigentlich dem turnusmäßigen Gespräch über die Themen der jüngsten Vollversammlung der katholischen Bischöfe in Freiburg. Dabei habe er über die Fälle von Missbrauch an Minderjährigen in der katholische Kirche in Deutschland informiert, sagte Zollitsch. Der Papst habe darum gebeten, die Leitlinien von 2002 zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch durch Geistliche beständig anzuwenden und erforderlichenfalls zu verbessern. Ausdrücklich habe der Papst die Berufung des Trierer Bischofs Stephan Ackermann zum Missbrauchsbeauftragten der Bischöfe begrüßte.

Georg Ratzinger kein Thema

Nach dem Gespräch mit dem Kirchenoberhaupt äußerte sich Zollitsch zuversichtlich, "dass wir auf dem Weg vorankommen, die Wunden der Vergangenheit zu heilen". Unterstützung für das Vorgehen der Bischöfe habe er auch in der vatikanischen Glaubenskongregation erfahren, sagte der Erzbischof, der sich seit Mittwoch in Rom aufhielt. Misshandlungen und sexuelle Übergriffe im Bistum Regensburg, in dem der Bruder des Papstes, Georg Ratzinger, als Leiter des Knabenchors "Regensburger Domspatzen" tätig war, seien nicht zur Sprache gekommen.

"Wir wollen die Wahrheit aufdecken und eine ehrliche Aufklärung", versicherte der Erzbischof. Er sagte erneut die Zusammenarbeit der Kirchenbehörden mit staatlichen Strafverfolgungsbehörden zu. Parallel zu diesen staatlichen Verfahren würden kirchenrechtliche Verfahren angestrengt. Diese seien jedoch "völlig unabhängig und getrennt voneinander". Das kirchliche Verfahren sei "selbstverständlich dem staatlichen nicht vorgeordnet", sagte Zollitsch.

Teilnahme an Rundem Tisch

Er wiederholte seine Auffassung, sexueller Missbrauch sei kein katholisches Problem. Wenn es im kirchlichen Bereich zu Übergriffen auf Minderjährige komme, sei das besonders schlimm. Man könne keinen der Fälle entschuldigen, das Phänomen gebe es jedoch "weit über die katholische Kirche hinaus". In diesem Zusammenhang dankte der Erzbischof für die Einladung der Bundesministerinnen für Familie und Bildung, Kristina Schröder und Annette Schavan (beide CDU), zum Runden Tisch mit allen gesellschaftlichen Gruppen über sexuellen Missbrauch von Kindern. "Die Bischofskonferenz ist selbstverständlich dabei."

Auch an einem weiteren Runden Tisch von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will Zollitsch offenbar teilnehmen. Auf einen Termin habe man sich allerdings noch nicht verständigt, erklärte ein Ministeriumssprecher in Berlin. Die Verstimmungen zwischen den katholischen Bischöfen und der Ministerin waren im Februar durch den Vorwurf Leutheusser-Schnarrenbergers ausgelöst worden, die Kirche arbeite mit den Strafverfolgungsbehörden nicht konstruktiv zusammen.

"Ministerin hat gelogen"

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller sagte in einem Interview der italienischen Tageszeitung "La Stampa" (Freitag), die Justizministerin habe "gelogen, weil weder der Heilige Stuhl noch die deutsche Kirche je Anweisung gegeben haben, den Klerus der staatlichen Justiz zu entziehen". In Deutschland seien Priester, die sexuellen Missbrauch begangen hätten "nie in irgendeiner Form gedeckt worden", sagte Müller am Rande einer Tagung der vatikanischen Kleruskongregation in Rom.

Die Deutschen verlieren nach dem Skandal um sexuellen Missbrauch Vertrauen in die katholische Kirche und ihre Jugendarbeit. Das geht aus einer Emnid-Umfrage für den Nachrichtensender N24 hervor, die am Freitag in Berlin veröffentlicht wurde. Nach Ansicht der meisten Bundesbürger unternimmt die Kirche nicht genug, um Missbrauch in den eigenen Reihen aufzuklären. Die große Mehrheit der Befragten - 86 Prozent - wirft der Kirchenführung mangelnde Aufklärungsbereitschaft vor. Nur zehn Prozent glauben, die Kirche unternehme genug. Emnid hatte für die Studie 1000 Bundesbürger befragt.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) forderte den Papst auf, sich bei den Opfern zu entschuldigen. Eine solche Geste sei mehr wert als Entschädigungszahlungen, sagte er dem RBB-Inforadio am Freitag in Berlin. Thierse ist auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche" hatte zuvor von Benedikt XVI. grundsätzliche Konsequenzen verlangt. Die "insgesamt sehr problematische Einstellung der katholischen Kirche zur Sexualität" sei ein weltweites Problem, sagte ein Sprecher am Freitag im Radiosender SWR2.

Weiter Diskussion um Zölibat

Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke verteidigte im Deutschlandfunk das Gebot der sexuellen Enthaltsamkeit für Priester. Er räumte aber ein, dass die zölibatäre Lebensform Menschen anziehen könne, "die eine krankhafte Sexualität haben". Der Kirchenkritiker und frühere Priester Eugen Drewermann forderte im Deutschlandradio Kultur die katholische Kirche auf, die Notwendigkeit des Pflichtzölibates zu überprüfen. Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend erklärte: "Wir werden dafür sorgen, dass in unseren Reihen nichts vertuscht und verheimlicht wird." Zugleich warnte die Organisation vor einem Generalverdacht gegen jene, die im kirchlichen Rahmen mit Kindern und Jugendlichen tätig sind.

Während immer neue Missbrauchsfälle bekanntwerden, steigt die Zahl der Kirchenaustritte in einigen deutschen Regionen offenbar leicht an. Ein eindeutiger Trend lässt sich allerdings anhand der aktuellen Zahlen noch nicht belegen, wie am Freitag eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) bei Standesämtern und Amtsgerichten ergab. Während in bayerischen Städten höhere Austrittszahlen registriert wurden, zeichnete sich in anderen Regionen kein nennenswerter Anstieg ab. Zudem blieb offen, ob es einen Zusammenhang zwischen Austritten und aktueller Missbrauchsdebatte gibt.

epd/dpa