Strippenzieher: Über den Sinn eines Internetministers
Immer wieder werden Forderungen nach einem Staatsminister für Internetfragen laut. Die jüngsten internetpolitischen Initiativen nähren Zweifel an der Netzkompetenz der Bundesregierung. Brauchen wir einen Internetminister?
12.03.2010
Von Cornelius Wüllenkemper

Ausgerechnet hochrangige Vertreter aus Industrie und Wirtschaft bemängeln derzeit die fehlende Koordinierung und unklare Richtungsvorgaben in der Arbeit der schwarz-gelben Koalition. Der Präsident des Verbandes der IT Industrie Bitkom, August-Wilhelm Scheer, kritisierte unlängst das fehlende „internetpolitische Gesamtkonzept“ der Bundesregierung. "Es gibt eine Kommission nach der anderen, jedes Ministerium pickt sich etwas heraus und macht daraus einen Publizitätswirbel. Wir brauchen einen Internetstaatsminister, ähnlich dem Kulturstaatsminister im Kanzleramt", forderte Scheer. Der Industrie gingen durch die mangelnde Koordinierung der Internetpolitik Planungssicherheit und enorme Marktpotentiale verloren, heisst es in der Branche. Politisch wird das Thema Internet nicht zuletzt aufgrund der großen wirtschaftlichen Bedeutung hoch gehandelt. In der IT-Branche waren im letzten Jahr immerhin 830.000 Menschen beschäftigt. Der Verein Deutscher Ingenieure gibt an, es gebe derzeit sogar noch 15.000 freie Stellen. Die Branche setzte 2009 immerhin 142 Milliarden Euro um.

Unwirksame Gesetze

Die harsche Kritik an der mangelnden Internetkompetenz der Bundesregierung scheint sich bei einem Blick in die jüngste Vergangenheit zu bestätigen. Öffentlichkeitswirksam setzte man vor wenigen Monaten die Schaffung eines Gesetzes zur Bekämpfung von kinderpornographischen Inhalten im Netz in Szene. Das Ergebnis dieser Initiative des Bundesfamilienministeriums unter Ursula von der Leyen war eine Regelung, die sich schon bald als weitgehend wirkungslos herausstellte. Auch das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, ein Produkt der großen Koalition, wurde unlängst vom Bundesverfassungsgericht einkassiert. Der Wirtschaft ist durch die Entscheidung nach Brachenangaben eine Schaden von 150 bis 200 Millionen Euro entstanden. Dazu kommen immense Verluste der Unterhaltungs- und Kulturindustrie durch die illegale Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Inhalten im Netz, unklare Regelungen von Autorenrechten und die schwierige Ahndung von Rechtsverstößen. Die dringend benötigte Aktualisierung des Urhebergesetzes hinsichtlich der digitalen Vertriebswege ist derweil ebenso wenig in Sicht wie der bereits mehrfach angekündigte Ausbau der Breitbandnetze.

Übers Netz nachdenken

Bundeskanzlerin Angela Merkel will den internetpolitischen Rückstand nun aufholen und stellte auf der Branchenmesse Cebit die ehrgeizigen Zielvorgaben des neuen "Internetaktionsplanes" der Bundesregierung vor. Bis Ende des Jahres sollen demnach 99 Prozent der deutschen Haushalte mit einem Breitbandanschluss ausgestattet sein. Politik und Wirtschaft sollen den schnellen Ausbau der Kommunikations- und Informationstechnologie in Deutschland vorantreiben. Zudem wird in wenigen Wochen die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" zusammentreten. Parlamentsabgeordnete und Internetsachverständige wollen über das "Netz nachdenken" und bis Mitte 2012 „Handlungsempfehlungen“ vorlegen. Effektive Internetpolitik sieht anders aus.

Sogar aus Regierungskreisen ist zu hören, dass der Staat seine Rolle in der Internetpolitik noch nicht gefunden habe. Für die Weiterentwicklung der digitalen Welt müssten klare Regeln gefunden und die Leitplanken so ausgestaltet werden, dass man sich im Netz "sicher und frei" bewegen könne, sagt ein Mitglied der Enquete Kommission, und benennt damit einen der Grundkonflikte der Internetpolitik: Freiheit gegen Sicherheit und Kontrolle. Hier kollidieren die Interessen der Wirtschaft, des Innenministeriums und der Datenschützer. Die erneute Forderung nach der Koordinierung der Internetpolitik mithilfe eines Internetministers, die mittlerweile sogar der dauer-rebellierende Chaos Computer Club unterstützt, scheint berechtigt – und ist dabei alles andere als unumstritten.

Der Blick ins Ausland

Während IT-Branchenvertreter einen "übergeordneten Minister" mit einer "Stabsstelle im Kanzleramt" fordern, der in einer Übergangszeit die Interessen der verschiedenen Ministerien moderiert, bleiben Zweifel an der Effizienz eines ressortübergreifenden Koordinators bestehen. Der Medienrechtler Thomas Hoeren von der Uni-Münster verweist auf das Beispiel Japan. Dort schränkten die Konflikte zwischen zuständigem Internetminister und den einzelnen Ressort dessen realpolitische Wirkung erheblich ein, sagt er. Hoeren plädiert für eine "visionäre Koordinierungsstelle", einen unabhängigen Thintank, dem weder politische Vertreter noch Lobbyisten, sondern ausschließlich IT-Spezialisten, Ökonomen und Politologen angehören. Zum Beispiel wie im "Berkman Center for Internet and Society" der Rechtsfakultät der Harvard Universität. Die US-Regierung greife bei internetpolitischen Anliegen zunehmend auf die wissenschaftlichen Expertisen des Forschungszentrums zurück. Ein Blick ins Ausland lohnt bei der deutschen Debatte um die Zukunft der Internetpolitik und das weltweite Netz in jedem Fall.
 


Cornelius Wüllenkemper ist freier Journalist und lebt in Berlin.