TV-Tipp: "Kommissarin Lucas: Aus der Bahn" (ZDF)
Ein junger Mann kommt nachts samt weiblicher Begleitung zu seinem teuren Cabrio. Vier Jugendliche haben ihn und sein Auto dazu auserkoren, Ventil für ihre Aggressionen zu werden.
12.03.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Kommissarin Lucas: Aus der Bahn", 13. März, 20.15 Uhr im Zweiten

Es gibt Momente der Wahrheit, vor denen sich jeder fürchtet: weil sie kein Entkommen zulassen. Man kann sich nicht stilschweigend verdrücken oder einfach die Augen schließen, sondern muss sich entscheiden. "Aus der Bahn", der neue Film aus der vorzüglichen ZDF-Krimireihe "Kommissarin Lucas", beginnt mit solch einer Szene: Ein junger Mann kommt nachts samt weiblicher Begleitung zu seinem teuren Cabrio. Vier Jugendliche haben ihn und sein Auto dazu auserkoren, Ventil für ihre Aggressionen zu werden. Eine Frau und ein älterer Mann erscheinen und treiben die Randalierer in die Flucht, der ältere hinterher, es kommt zur Konfrontation; kurz drauf ist einer der Jungs tot. Klingt schlicht, ist es aber nicht, denn und nach kommt die Regensburger Ermittlerin dahinter, dass der Tod Schlusspunkt einer ganz anderen Ereigniskette war, die sich nur zufällig mit dem Autovorfall gekreuzt hat.

Mit Ulrike Kriener, Francois Goeske und Nadja Bobyleva

Seit dem Start vor sieben Jahren haben Sender und Produzenten stets darauf geachtet, dass sich "Kommissarin Lucas" von anderen Reihen abhebt. Die Geschichten weisen gern über sich hinaus. Das in den Filmen plötzlich gar nicht mehr so beschauliche Regensburg wird immer wieder zum Brennglas der Republik. Auch "Aus der Bahn" greift ein ebenso brisantes wie aktuelles Thema auf. Mit mobilen Telefonen erstellte Filmaufnahmen, die überwiegend jugendliche Gewalttaten dokumentieren, spielen eine ganz entscheidende Rolle. Im geistigen Zentrum des Falls steht eine Clique, die sich "Pain Attack" nennt, junge Männer aus einfachen Verhältnissen, die ihr Mütchen an gesellschaftlichen Statussymbolen kühlen; daher auch die Demolierung des Cabrios. Wie beim Häuten einer Zwiebel arbeitet sich Ellen Lucas (Ulrike Kriener) Stück für Stück zum Kern des Falls vor, und dort stößt sie auf eine Liebesgeschichte, die ein bisschen an "Romeo und Julia" erinnert. Geschickt lassen Buch (Jörg von Schlebrügge nach einer Idee von Sabine Kalinowski) und Regie (Christiane Balthasar, schon zum vierten Mal in Folge) lange offen, was es mit dieser wortlosen und merkwürdig distanziert geführten Beziehung zwischen dem "Pain Attack"-Mitglied Michi (Francois Goeske) und der kurz zuvor vergewaltigten Diana (Nadja Bobyleva) auf sich hat.

Wer schweigt, gerät in Verdacht

Wie immer in den "Lucas"-Filmen spielen auch der Vermieter der Kommissarin und ihre Schwester entscheidende Rollen: Max (Tilo Prückner) ist der Mann, der die Jungs zu Beginn verfolgt hat. Er ist mit einem blauen Auge zurückgekehrt, schweigt sich aber eisern über den Vorfall aus und gerät daher der Form halber in Mordverdacht. Der Handlungsstrang mit Rike (Anke Engelke) wirkt allerdings wie ein Fremdkörper: Sie hatte Max begleitet, ist ohnmächtig geworden, hatte eine Jenseitsvision und findet zu Gott. Das ist zwar hübsch fotografiert, weil sich im Krankenzimmer selbst die Schatten zu Kreuzen formen, hat mit dem Rest der Geschichte aber nicht das Geringste zu tun. Dennoch ist auch dieser Film nicht zuletzt Dank Musik (Johannes Kobilke) und Bildgestaltung (Hannes Hubach) ein Samstags-Höhepunkt.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).