Zollitsch berichtet Papst über Missbrauchsfälle
Seit Wochen wird über Missbrauch an katholischen Einrichtungen in Deutschland diskutiert. Am Freitag schaltet sich das katholische Oberhaupt, Papst Benedikt XVI., erstmals direkt in den Skandal ein.

Benedikt XVI. empfängt den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, der ihm Bericht erstatten soll. In der Vergangenheit hat der Papst äußerst sensibel auf das Thema reagiert und Missbrauch wiederholt als unerträgliches Verbrechen bezeichnet. Unterdessen forderte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die katholische Kirche erneut auf, enger mit der Justiz zusammenzuarbeiten.

Gültige Richtlinie ohne Anzeigenpflicht

In der Vergangenheit seien Staatsanwaltschaften in zu wenigen Fällen eingeschaltet worden, sagte die Ministerin am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". "Das muss besser werden." Die derzeit noch gültige Richtlinie der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2002 "zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche" müsse geändert werden.

In den Richtlinien gibt es keine Anzeigepflicht. Zur Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden heißt es darin unter anderem: "In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigten - falls nicht bereits eine Anzeige vorliegt oder Verjährung eingetreten ist - zur Selbstanzeige geraten und je nach Sachlage die Staatsanwaltschaft informiert."

Sexueller Missbrauch nicht nur Thema in Kirchen

Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, zeigte sich verständigungsbereit. Er ließ allerdings erneut offen, ob die katholische Kirche dem Gesprächswunsch der Ministerin nachkommen werde. Sie hatte den Freiburger Erzbischof Zollitsch zu einem Treffen am 25. März eingeladen. Dabei solle der Streit um die ihrer Meinung nach mangelhafte Aufarbeitung der Missbrauchsfälle beigelegt werden. Die Bischofskonferenz reagierte "überrascht", wie Sprecher Matthias Kopp sagte. Man habe über die Medien von der Einladung erfahren. Zollitsch sei an dem Tag verhindert.

Dagegen war die Teilnahme an einem "Runden Tisch" zum Thema sexueller Missbrauch, zu dem Familienministerin Kristina Schröder und Bildungsministerin Annette Schavan (beide CDU) für den 23. April eingeladen haben, zugesagt worden. Dort soll das Thema nach Schröders Worten umfassender behandelt werden.

Sexueller Missbrauch sei nicht nur ein Thema der Kirchen, sagte Schröder der "Financial Times Deutschland" (Freitag). Probleme mit Kindesmissbrauch gebe es in unterschiedlichen Bereichen, in Internaten, in Sportvereinen, aber auch in der Familie selbst. "Mein Ziel ist eine Selbstverpflichtung von Einrichtungen wie Schulen und Vereinen, wie sie sich in konkreten Missbrauchsfällen zu verhalten haben", sagte die Ministerin. Deswegen werde man mit Vertretern von Familienverbänden, Internatsträgern, beider großen Kirchen, der freien Wohlfahrtspflege und Ärzten über Konsequenzen aus den jüngsten Missbrauchsfällen reden.

Missbrauch könnte die Kirche viele Millionen kosten

Immer mehr Opfer von sexuellem Missbrauch melden sich zu Worte. Wie in anderen Ländern drohen der katholischen Kirche auch in Deutschland Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe.

USA: Die Kirche entschloss sich 2006 zu Zahlungen von mehr als 1,5 Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Euro) an die Opfer. Viele Diözesen gerieten an den Rand des Ruins. Sie mussten ihre Ausgaben drastisch reduzieren, schlossen Kirchen und Schulen. Seit 1950 kosteten die Verfehlungen von Priestern die Kirche insgesamt mehr als 2,6 Milliarden Dollar (derzeit fast 1,9 Milliarden Euro). Mindestens 4.400 Priester hatten sich an nahezu 11.000 Kindern vergangen.

IRLAND: Die Regierung vereinbarte 2009 mit kirchlichen Orden einen Entschädigungsfonds von 2,1 Milliarden Euro. Ein Großteil des Geldes brachte die Kirche durch den Verkauf von Gebäuden und Ländereien auf. Bis in die 1990er Jahre wurden tausende Kinder in kirchlichen Heimen gequält und missbraucht. Einige Bischöfe traten zurück, weil sie zulange geschwiegen hatten.

Über Entschädigungen in anderen Ländern gibt es nur bruchstückhafte Berichte. Aus Kanada wurde 2009 bekannt, dass die Diözese des Bistums London (Ontario) einer heute 51-Jährigen zwei Millionen kanadische Dollar (1,3 Millionen Euro) gezahlt hat. Sie war als Kind wie Dutzende andere Mädchen von einem Priester geschändet worden.

dpa