Alt werden mit HIV: "Nicht mit dem Alter gerechnet"
Dank der Medizin hat AIDS viel von seinem Schrecken verloren. Manchen gilt es als chronische Krankheit. Damit gilt aber auch: AIDS-Kranke müssen mit dem Altern leben. Altersarmut wird damit zu einem wachsenden Problem.
09.03.2010
Von Natalia Matter

25 Jahre hat Horst A. der Krankheit schon abgetrotzt. "10, 15 Jahre will ich noch, wenn es 20 sind, bin ich glücklich." Es war 1985, als sich der drahtige, energiegeladene Mann mit dem HI-Virus infizierte - ein Todesurteil? "Viele meiner Freunde sind an Aids gestorben". Doch Horst A. hatte Glück: Heute ist er 69 Jahre alt. Dank neuer Medikamente, die die Vermehrung der Viren hemmen, hat Aids in den Industrienationen viel von seinem Schrecken verloren und gilt zunehmend als chronische Krankheit.

Zehn Jahre lang ignorierte der quirlige Künstler, der damals in Los Angeles in den USA lebte, die Diagnose. Dann erschienen rötlich-braune Flecken auf seiner Haut, die Kaposi-Sarkome, ein häufiges Symptom bei Aids-Kranken. Nachdem eine Therapie keine Besserung brachte, kehrte Horst A. zur Behandlung nach Deutschland zurück. "Nach neun Monaten waren die Sarkome weg", erzählt er lebhaft. Dankbarkeit und Lebensfreude sprudeln nur so aus ihm heraus. Seitdem muss er zwei Mal täglich drei Tabletten nehmen und fühlt sich soweit gut.

Altersarmut wird zum Problem für HIV-Infizierte

Damit gehört A. zu dem Drittel HIV-Positiver, die relativ unbeschwert leben, erklärt Norbert Dräger von der Aids-Hilfe Frankfurt. Ein weiteres Drittel habe mit starken Nebenwirkungen der Medikamente zu kämpfen. Die restlichen Infizierten müssen ständig neue Therapien ausprobieren, weil der Körper Resistenzen aufbaut und die Mittel nicht anschlagen.

"Aber man kann mit HIV mittlerweile alt werden", sagt Dräger. Es gebe derzeit 25 Medikamente gegen die Immunschwäche, deren Langzeitwirkung allerdings nicht bekannt sei. Dies stellt die Betroffenen und die Gesellschaft vor eine neue Situation. "Die HIV-Positiven haben nicht damit gerechnet, dass sie so alt werden", erklärt Dräger. "Viele haben sich in den 80er, 90er Jahren angesteckt." Jetzt sei es, als wenn ihnen ein neues Leben geschenkt worden sei. "Aber sie haben keine Rücklagen und keine Altersvorsorge, und viele sind jung aus dem Berufsleben ausgeschieden." Altersarmut wird immer mehr zum Problem.

Horst A. lebt von einer kleinen Rente und Sozialhilfe. Ab und zu kann er eines seiner Bilder verkaufen. Der gelernte Konditor, der sich das Malen, Töpfern, Schnitzen, Nähen und Sticken selbst beibrachte, zeigt sich zuversichtlich. "Ich komme einigermaßen klar", beteuert er. Aber Extra-Ausgaben kann er kaum stemmen. So wolle ihm die Krankenkasse das Medikament gegen die Nebenwirkungen der Aids-Therapie nicht mehr bezahlen. "Diese 15 Euro im Monat machen sich durchaus bemerkbar."

"Sexualität, Berührung und andere Lebensweisen sind tabuisiert"

Das Solidarprinzip der Gesundheitsversorgung verwässere immer mehr, sagt Dräger. Menschen mit HIV oder Aids fühlten sich zunehmend wie Bittsteller. "Sie müssen immer wieder kämpfen, damit es ihnen gut geht, und sie fühlen sich im Stich gelassen mit ihrer Krankheit." Ein weiteres Problem ist der Wohnraum für ältere Infizierte und Kranke.

Pflege-Experte Heiko Gerlach kennt zahlreiche Fälle aus dem gesamten Bundesgebiet, in denen HIV-Positive von Altersheimen abgelehnt wurden. Gerlach ist Berater für Pflege und Wohnen unter anderem für Menschen mit HIV/Aids oder Migrationshintergrund und für ältere Homosexuelle. Im stationären Bereich sei eine menschenwürdige, diskriminierungsfreie Pflege älterer Aids-Kranker kaum gegeben, sagt er.

Eine Wohngemeinschaft mit sieben Plätzen in München sei das einzige Projekt, das genau auf deren Bedürfnisse zugeschnitten sei. Auch wenn HIV-Positive in Altenheimen aufgenommen würden, könne ihre Pflege nicht uneingeschränkt gut sein, wenn das Personal nicht geschult und sensibilisiert sei: "Denn gerade die Bereiche Sexualität, Berührung und andere Lebensweisen, um die es da geht, sind tabuisiert", sagt Gerlach.

"Aber vorerst habe ich noch was vor"

Horst A. wohnt in seiner Wohnung mit seinen zwei Katzen. Es geht ihm so gut, dass er selbst für sich sorgen kann. Ein Mal die Woche schaut jemand vom Pflege- und Betreuungsdienst der Aids-Hilfe Frankfurt vorbei. Sollte das mal nicht mehr gehen, möchte er am liebsten in ein Wohnprojekt für ältere Schwule. "Leider ist das erst in der Planung."

"Aber vorerst habe ich noch was vor", sagt er energisch. "Ich hab die Sache, damit muss ich leben, aber ich lass' mir davon mein Leben nicht verderben." Dann erzählt er von der Autobiografie, an der er schreibt. Spätestens wenn er anfängt zu schildern, wie er aus den Bombennächten in Pommern über die Filmstudios in Hollywood, wo er Kostüme für Historienfilme entwarf, zur eigenen Ausstellung im Café der Aids-Hilfe Frankfurt kam, glaubt man ihm, dass er noch viel Zeit braucht.

epd