Pulverfass Nigeria: 500 Tote bei Gewalt gegen Christen
Christliche Religionsführer in Zentralnigeria haben nach religiösen Unruhen mit mehr als 500 Toten Vorwürfe gegen die Armee erhoben. Muslime hatten ein christliches Dorf angegriffen.

Der neue Gewaltausbruch zwischen Christen und Muslimen in Nigeria hat international Besorgnis ausgelöst. Bei den Unruhen im Bundesstaat Plateau waren nach Angaben der Behörden am Sonntag mehr als 500 Menschen ums Leben gekommen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief beide Seiten zur äußersten Zurückhaltung auf. "Die politischen und religiösen Führer des Landes sollten sich zusammensetzen und eine dauerhafte Lösung für die Ursachen der Gewalt ausarbeiten", schlug Ban in einer Erklärung vom Montag vor.

Westerwelle ruft zu "äußerster Besonnenheit" auf

Der Vatikan zeigte sich über die blutigen Auseinandersetzungen entsetzt. Es handele sich jedoch "nicht um religiöse, sondern um soziale Unruhen", zitierte die italienische Nachrichtenagentur Ansa den Pressesprecher des Heiligen Stuhls, Padre Federico Lombardi.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle rief alle Beteiligten zu "äußerster Besonnenheit" auf. "Ich erwarte von den Verantwortlichen in Nigeria, dass sie alles tun, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen", hieß es in einer am Montag in Berlin herausgegebenen Erklärung Westerwelles.

Religiöses Pulverfass

Am Montag war bekanntgeworden, dass bei den Unruhen weit mehr Menschen getötet wurden als zunächst angenommen. Muslimische Nomaden hatten in der Nacht zum Sonntag drei christliche Dörfer angegriffen. Zunächst war von rund 100 Toten die Rede gewesen. Der amtierende Präsident Godluck Jonathan ordnete Alarmbereitschaft für die in Plateau stationierten Truppen an. In der zentralnigerianischen Region gilt bereits seit Januar eine nächtliche Ausgangssperre. Damals war es in der Stadt Jos zu schweren Kämpfen zwischen Christen und Muslimen gekommen, bei denen mehr als 300 Menschen getötet wurden.

Der Bundesstaat Plateau gilt als religiöses Pulverfass. Oft geht es um die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen christlichen und muslimischen Gruppen. Angaben zum Hintergrund für den Angriff am Sonntag lagen zunächst nicht vor. Überlebende Dorfbewohner gingen von einem Racheakt aus, nachdem im Januar muslimische Dörfer von christlichen Banden überfallen worden waren.

Viele Frauen und Kinder unter den Opfern

In einer am Montag in der Zeitung "Guardian" veröffentlichten Stellungnahme klagte der Rat christlicher Kirchenführer, die in Jos stationierten Truppen seien zwar benachrichtigt worden, als das christliche Dorf Dogo Nahawa von muslimischen Nomaden belagert wurde. Die Soldaten seien jedoch erst Stunden später in dem fünf Kilometer entfernten Dorf eingetroffen. "Wegen ihrer Vorbehalte gegen Christen haben wir kein Vertrauen mehr in die Armee", zu die Kirchenführer.

Viele der Opfer waren Frauen und Kinder. "Sie drangen in die Häuser ein, riefen "Allah ist groß" und gingen mit Messern und Macheten auf die Bewohner los", schilderten die Kirchenführer den Angriff unter Berufung auf Augenzeugen.

Christen und Muslime haben in Nigeria jeweils einen Bevölkerungsanteil von etwa 50 Prozent. In der Politik wird traditionell auf ein Gleichgewicht zwischen dem überwiegend islamischen Norden und dem christlichen Süden geachtet. Wegen der Erkrankung des muslimischen Präsidenten Umaru Yar'Adua übt allerdings seit einigen Wochen dessen christlicher Stellvertreter Jonathan das Präsidentenamt aus, obwohl erst bei den Präsidentenwahlen im kommenden Jahr ein christliches Staatsoberhaupt an der Reihe wäre.

Nationaler Sicherheitsberater Nigerias entlassen

Nach den schweren Unruhen hat der amtierende nigerianische Präsident Goodluck Jonathan den nationalen Sicherheitsberater Sarki Mukhtar entlassen. An seiner Stelle werde Mukhtars Vorgänger Aliyu Gusau das Amt übernehmen, teilte Jonathan am Montagabend mit. Der entlassene Mukhtar gilt als enger Vertrauter von Präsident Umaru Yar'Adua, der aus Krankheitsgründen seit Ende November nicht mehr in der Öffentlichkeit erschienen ist. Seine Entlassung gilt auch als Zeichen dafür, dass Jonathan seine Position an der Spitze des Staates festigt.

Die Massaker am Sonntag in mehreren Dörfern rund um die Stadt Jos, die zweite Unruhewelle binnen Wochen, hatten ungeachtet der Stationierung von Soldaten und einer nächtlichen Ausgangssperre stattgefunden. Die Stimmung in der Region war am Dienstag weiter angespannt. Muslime, die der Ethnie der Haussa-Fulani angehören, befürchteten Racheakte christlicher Berom-Milizen, die Opfer der Übergriffe vom Sonntag waren.

dpa