Internetidee: Spenden finanzieren Journalismus
Spenden hat in den USA Tradition, in der Journalisten-Weiterbildung und der Journalismus-Forschung spielen Stiftungen schon immer eine große Rolle. Ein Online-Projekt an der US-Ostküste zeigt, dass auch Kleinspender bereit sind, sich an Recherchekosten zu beteiligen.
05.03.2010
Von Corianne Blümel

Fast 17 Prozent Arbeitslose und immer längere Schlangen vor den Gemeindezentren, die Lebensmittel an Bedürftige abgeben: Oakland, die 420.00 Einwohner-Stadt nahe San Francisco, kämpft mit Armut und Hunger. Darüber berichtete die Journalistin Sierra Filucci auf der Internetplattform "Oakland Local" am 21. Januar und zeigte den Lesern, wo die Essenausgaben in der Stadt liegen.

Das Honorar für "More Than Ever, Oakland is Hungy" bekam Filucci allerdings nicht von der gemeinnützigen Seite "Oakland Local", sondern über spot.us. Auf dieser Plattform werben freie Journalisten für ihre Rechercheprojekte aus den Regionen rund um San Francisco und Los Angeles. Ob und wie schnell eine Geschichte umgesetzt wird, entscheiden hier nicht die Journalisten im Newsroom, sondern interessierte Bürger mit ihren Kleinspenden. Knapp 50 Projekte wurden auf diese Weise realisiert, seit die Seite im November 2008 online ging.

Journalismus in der Krise

"Crowd sourcing" oder "community funded reporting" heißt das Modell, mit dem der 27-jährige spot.us-Gründer David Cohn dank einer Anschubfinanzierung der Knight Foundation erfolgreich experimentiert. Die Idee dahinter: Weil US-Medienhäuser in der Krise oft gerade an aufwändigen Recherchen sparen, sorgt die Öffentlichkeit dafür, dass wichtige Themen nicht zu kurz kommen. Dabei haben die künftigen Leser auch die Möglichkeit, selbst Tipps abzugeben, womit sich Journalisten mal beschäftigen sollten. Und im Einzelfall können sie sich auch als Informanten dem Reportage-Team anschließen.

Als "open source"-Projekt stellt spot.us die fertigen Beiträge kostenlos der Allgemeinheit zur Verfügung. Allerdings können sich Partnermedien an den Recherchekosten beteiligen und damit zeitweilig Exklusivrechte erwerben. Dabei sind Medien die einzigen Akteure, die sich mit mehr als 20 Prozent einer Ausschreibung tragen dürfen. Falls ein Beitrag dadurch refinanziert wird, können die Geldgeber ihre Spende in ein anderes Projekt investieren. Das ist möglich, weil Spot.us nur Geld von registrierten Lesern annimmt, wie Internetaktivist David Cohn (hier im Interview mit dem "Focus") erläutert: "Es gibt bei uns keine Möglichkeit, anonym zu spenden". Zusammen mit der Spendenobergrenze von 20 Prozent stellt die Registrierung sicher, dass Sponsoren nicht heimlich Einfluss auf Recherchen nehmen können.

Transparenz besonders wichtig

Überhaupt steht Transparenz bei spot.us ganz oben: In Blogs diskutieren die Anbietenden ihr Rechercheanliegen mit den Lesern. Und wer sich die Geschichte wie viel kosten lässt, ist für jede Story namentlich und in vielen Fällen sogar mit Profilbild nachvollziehbar: Meist zweistellige Beträgen zahlten zum Beispiel knapp 30 Personen, um mehr über die überraschend geringen Grundsteuern der großen Country Clubs in Los Angeles zu erfahren. Die Veröffentlichung in einem unabhängigen Wochenmagazin zog Kreise, und im Januar berichtete die L.A. Times, dass die jahrzehntealte Sonderregelung jetzt überprüft wird.

Weltweite Aufmerksamkeit erzielte Spot.us im vergangenen Herbst mit dem bisher größten Projekt. 6.000 Dollar sammelte die Umweltjournalistin Lindsey Hoshaw hier, um an einer Forschungsreise zum "Garbage Patch" teilzunehmen, einer riesigen Müllansammlung, die von einer kreisförmigen Strömung durch den Nordpazifik getrieben wird. Veröffentlichen konnte sie die Ergebnisse ihrer Recherchen unter anderem in der "New York Times" im November 2009.

Lokaler Enthüllungsjournalismus

Die einzigartige Kombination von lokalem Enthüllungsjournalismus und Web-2.0-Technologien überzeugte die Knight Foundation so sehr, dass sie im vergangenen September auch die Gründung eines spot.us-Ablegers in Los Angeles unterstützte, wo die USC Annenberg School of Journalism als Kooperationspartner dazustieß. David Cohn schwebt vor, dass auf Dauer ein ganzes Netzwerk von Medien entsteht, die dem lokalen und im besten Sinne bürgerschaftlichen Journalismus verpflichtet sind.

Spendenfinanzierter Journalismus: Was für die deutsche Öffentlichkeit eher ungewöhnlich klingt, hat in den USA Tradition, wie etwa das öffentliche National Public Radio (NPR) zeigt. Die 1970 gegründete Senderkette besteht heute aus 860 unabhängigen, nicht-kommerziellen Radiostationen und finanziert sich zu Teilen aus Spenden von überzeugten Hörerinnen und Hörern. Früher schickte man einen Scheck oder einen Geldschein per Post, heute wird das online erledigt, per Kreditkarte oder Einzugsermächtigung.

Alternative Finanzierungsmodelle

Im Zuge der Medienkrise gibt es in den USA zahlreiche Experimente zu alternativen Finanzierungsmodellen: Stiftungen finanzieren zum Beispiel eine Redaktion für investigative Recherchen beim Portal Huffington Post oder sie finanzieren lokale Internetseiten im ländlichen Raum und Projekte, bei denen professionelle Journalisten mit Bürgerjournalisten zusammenarbeiten.

Für Aufsehen sorgte das große medienunabhängige Redaktionsbüro Pro Publica in New York, das Anfang 2008 die Arbeit aufnahm. Aktuell befassen sich die 32 Reporter und Redakteure unter anderem mit Skandalen bei der Polizei in New Orleans und im kalifornischen Gesundheitswesen sowie mit den Umweltschäden, die durch Gas-Bohrungen entstehen. Auch Pro Publica wirbt auf seiner Seite für Spenden. Aber im Wesentlichen finanzieren Stiftungsgelder den siebenstelligen Etat. Jährlich rund 10 Millionen Dollar bringt allein die Sandler-Stiftung ein. Solche Summen durch Kleinspenden aufzubringen, dürfte aber selbst in den Vereinigten Staaten kaum möglich sein.


Corinna Blümel ist freie Journalistin und lebt in Köln.