Störungen im Betriebsablauf (Folge 21)
Irgendwie ist die Bahn ja auch ein bisschen so ein nostalgisches Verkehrsmittel - trotz aller schnellen ICE. Kein Wunder, dass unsere Autorin Ursula Ott auch mal in der Vergangenheit schwelgt.
05.03.2010
Von Ursula Ott

Meine Woche vom 28. Februar bis 5. März

Sonntag

Reise in die Kindheit. Ich bin mit der Bahn zu meiner Mutter gefahren, an den Bodensee, und jedes Mal versetzt mich schon der Anblick des Ravensburger Bahnhofs zurück in die Vergangenheit. Ich weiß noch, wie ich mit 18 hier in den Zug gestiegen bin, ab an die Uni. Wie meine Eltern am Bahngleis immer kleiner wurden. Brrr, Angst und Lampenfieber. Ich weiß, wie ich das erste Mal mit meinem eigenen Kind an diesem Bahnhof ankam, einem schreienden Baby, das beim Umsteigen in Ulm seinen Plüsch-Papagei verloren hatte. Manche Dinge ändern sich nie. In Ulm gibt es nach wie vor nur sechs lächerliche Minuten Zeit zum Umsteigen. Manche Dinge ändern sich sehr. Als die Kinder klein waren, platzte der Koffer schier vor Windeln, Ersatzwäsche und Plüschtieren. Heute platzt er schier vor Elektronik: 1 Laptop, 1 Nintendo, 1 Ipod touch, 1 USB Kabel, zwei Ladegeräte. Auf der Rückreise werde ich aus meiner Nostalgie gerissen, wegen Sturm kann der Zug nicht über Stuttgart fahren. Und kurz vor Frankfurt ist ganz Schluss: Nichts geht mehr in Hessen. Über-S-Bahn-Gleise tuckern wir zum Frankfurter Südbahnhof. Na toll. Wir steigen aus und gehen ins erstbeste Hotel, im ICE stundenlang warten, bis der Sturm vorbei ist – dafür sind selbst die großen Kinder mit zehn und zwölf noch zu ungeduldig. Zumal eins der Kinder und die Mutter eine Bodenseeforelle im Magen schief liegen haben.

Montag

Da hat uns die Bahn denn doch noch mal zu einer Portion Nostalgie verholfen. Wie früher, als die Kinder winzig waren, liegen wir zu dritt im Hotelbett und finden es lustig. Bis 2 Uhr nachts, dann finden wir es doof, denn die Kinder sind ganz schön große Kerle, wir können alle nicht schlafen. Zu wenig Platz im Bett. Zumal jetzt unser Gepäck wenig hilfreich ist. Was nutzen Nintendo und Ipod, wenn man gerne Zahnbürste und frische Wäsche hätte. Völlig gerädert stehen wir am Montag auf und probieren aufs Neue unser Glück mit der Bahn nach Köln. Oskar, der Zehnjährige, findet alles super. Wie ein Manager greift er im Taxi zu seinem Handy und sagt bei seinem besten Freund alle Termine ab. Kann heute leider nicht in die Schule kommen, Orkan Xynthia, bitte entschuldige mich. Von der Bahn aus sehen wir umgestürzte Bäume und abgesperrte Straßen. Wir sind immer noch fix und fertig, aber es war auch ein großes Abenteuer. Familien erleben ja gern was zusammen.

Dienstag

Wieder Alltag. Kein Sturm mehr, drum für die Kinder leider Schule. Für Mama ICE, planmäßig. Ich komme pünktlich in Frankfurt an, wo es am Bahnhof eine große neue Plakatkampagne gibt. Ein Mädchen Marke Superschlau, mit Zöpfen und Brillen, darüber der Satz "Was soll bloß aus meinem Kind werden?" So ein Quatsch, das wissen wir doch eh nicht, was aus denen wird und was die Zukunft überhaupt erfordert. Warum sich jetzt schon Sorgen machen. Ich denke an Oskar und seine Manager-Allüren im Taxi. Aus dem wird schon was werden. Delegieren kann er jedenfalls schon mal.

Mittwoch

In Köln ist heute Trauerstimmung, genau vor einem Jahr ist beim U-Bahn-Bau die Katastrophe passiert, bei der zwei Menschen gestorben sind und das Gedächtnis der Stadt ausgelöscht wurde. Der Chef der KVB, der Kölner Verkehrsbetriebe, hat bis jetzt keine Verantwortung für die Schlamperei am Bau übernommen und wird heute vom Kölner Oberbürgermeister aufgefordert zurückzutreten. Ein Jahr danach! Der soll sich mal an Margot Käßmann ein Beispiel nehmen. Ich gerate ausgerechnet heute in der U-Bahn zum Bahnhof in eine Fahrkartenkontrolle, und es kommt zu einem kleinen Tumult. "Dass Sie sich überhaupt noch unter die Fahrgäste trauen", herrscht eine Geschäftsfrau den KVB-Kontrolletti an, "KVB steht doch für: Könnte Vielleicht Befördern". Aber der Kontrolleur bleibt cool. "Nö, für Kölner Verbrecher Bande". Und geht einen Wagen weiter.

Donnerstag

Es gibt große Katastrophen und kleine Katastrophen. Zu den letzteren gehört, wenn man im Nahkampf am Gleis, im Krieg um die wenigen Plätze im halbierten überfüllten Zug, einen Rock anhat. Und der sich im Getümmel in zwei Teile zerteilt – die nur per Reißverschluss zusammen gehalten wurden. Reißverschluss krach, Rock futsch. Himmel, ist mir das peinlich. Wenn die Bahn diese Züge nicht bald wieder in normaler Länge fahren lässt, steige ich nur noch im Kampfanzug in den Zug. Und heute muss ich leider meinen Mantel anlassen, den Rock kann ich vergessen.

Freitag

Die Bahn fährt mich heute nur bis Düsseldorf, habe einen Auftritt beim WDR Fernsehen, "NRWs Beste". Ich spiele die Patin für den einzigen Protestanten unter den Kandidaten, den Sozialreformer und Gründer von Bethel, für Friedrich von Bodelschwingh. Der hat sich vor 100 Jahren übrigens vor allem für Wanderarbeiter eingesetzt, die durch den Eisenbahnbau aus ganz Europa nach Deutschland kamen und oft unter Einsamkeit, aber auch unter Hungerlöhnen litten. Ein bisschen wie heute die polnischen Billigarbeiter, die unsere U-Bahn bauen. Und aus Verzweiflung schon mal Eisenteile auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Vielleicht bräuchten wir das in Köln heute wieder, einen Seelsorger für die Wanderarbeiter und U-Bahn-Bauer. Schönes Wochenende!


Über die Autorin:

 

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de

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