Was sind die Grenzen für Forschung an Menschen? Ist es verantwortungsvoll, Medikamente an Kindern oder an Demenzkranken zu erproben? Über diese Fragen im Spannungsfeld von Menschenwürde und Forschungsfreiheit diskutiert seit Monaten die Schweiz, ein Land mit großen Pharmafirmen und renommierten Forschungseinrichtungen wie der Universität Zürich.
Am Sonntag hat das Volk das letzte Wort. Dann stimmen die Schweizer nicht nur über Rentensätze und den Tieranwalt ab, sondern auch über einen neuen Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen. Darin wird der Weg geebnet für ein bundeseinheitliches Gesetz über die "Forschung am Menschen", das neben dem Schutz der Menschenwürde auch der Forschungsfreiheit Rechnung trägt.
"Die heutigen Regeln sind zu wenig einheitlich und lückenhaft", beschreibt Peter Suter, Präsident der Akademie der Wissenschaften, den Handlungsbedarf. Bislang haben nur einzelne Kantone Regelungen zur Humanforschung.
Vier Grundsätze vorgesehen
Biologische und medizinische Forschung mit Menschen, so sieht es der Verfassungsartikel 118b vor, muss vier Grundsätze beachten: Jedes Forschungsvorhaben setzt die Einwilligung der Versuchsperson oder ihres Vertreters nach ausreichender Aufklärung voraus. Risiken und Belastungen der Teilnehmer dürfen nicht in Missverhältnis zum Nutzen der Forschung stehen. Mit urteilsunfähigen Personen darf nur geforscht werden, wenn sich gleichwertige Erkenntnisse nicht bei urteilsfähigen Versuchspersonen gewinnen lassen. Schließlich muss jedes Forschungsprojekt von einer unabhängigen Stelle, etwa einer Ethikkommission, überprüft werden.
Unterstützt wird der Verfassungsartikel 118 b von nahezu allen Parteien. Auch Wissenschaftsorganisationen und Wirtschaftsverbände werben für ein Ja. Mit unterschiedlichen Argumenten lehnen die Schweizerische Volkspartei und die forschungskritische Gruppe "Basler Appell". Die rechtskonservative Volkspartei fürchtet um die Geschäfte der Pharmafirmen. Vor allem die Prinzipien, wonach das Risiko der Forschung nicht in einem Missverhältnis zum Nutzen stehen darf und die unabhängige Überprüfung des Forschungsvorhabens, seien "einengend und letztlich forschungsfeindlich".
Der "Basler Appell gegen Gentechnologie" plädiert für Nein, weil die Restriktionen nicht weit genug gehen. Wenn Kinder, Demenzkranke oder andere "urteilsunfähige" Personen nicht von den Ergebnissen der Forschung an ihnen direkt profitierten, müsse man Testreihen strikt ablehnen.
Defizite beim Schutz der Menschenwürde
Die beiden großen Kirchen der Schweiz begrüßen zwar im Grundsatz eine bundeseinheitliche Regelung der Humanforschung und die im Verlauf der Beratungen vorgenommenen Ergänzungen des Verfassungsartikels. Aber sie kritisieren zugleich Defizite beim Schutz der Menschenwürde.
Die Interessen der Forschung dürften nie über das Prinzip der menschlichen Würde gestellt werden, formuliert die Bioethik-Kommission der katholischen Schweizer Bischofskonferenz. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund sieht vor allem die geplante Vorschrift über Forschung mit "einwilligungsunfähigen" Menschen - Kindern, geistig Behinderten und Demenzkranken - kritisch. Denn es bleibe offen, welches Verhalten als bindende Ablehnung gilt.
Dieser Unklarheit hält der Kirchenbund entgegen ?die ausnahmslose Geltung der ablehnenden Äußerung einer betroffenen Person, das generelle Verbot fremdnütziger Forschung sowie eine äußerst rigide Bewilligungspraxis bei Menschen, bei denen davon ausgegangen werden muss, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Situation angemessen einzuschätzen und zu überblicken". Deshalb mahnt der reformierte Kirchenbund zur Wachsamkeit und will den weiteren Weg des Verfassungsartikels sorgfältig beobachten.