Jeff Bridges: Ein Mann ohne Allüren
Er ist das, was mal jemand als Charakterdarsteller im Körper eines Leading Man bezeichnet hat. Ein Typ, mit dem man Pferde stehlen könnte, der manchmal schluffig wirkt und immer natürlich. Aber in den Achtzigern war er beinahe so etwas wie das Sexsymbol der Dekade – da hat er Michelle Pfeiffer geküsst und sich mit Rachel Ward im Sand geräkelt. In diesem Jahr startet Jeff Bridges noch einmal durch. Als abgetakelter Countrysänger in Cra zy Heart (Foto) hat er sich eine Oscarnominierung erspielt. Und in Männer die auf Ziegen starren, versucht er, beim Militär seinen eigenen Rhythmus zu finden.
03.03.2010
Von Kai Mihm

Es gibt eine Szene in seinem neuen Film Crazy Heart, da steht Jeff Bridges als abgehalfterter Countrystar Bad Blake auf der Bühne einer riesigen Konzertarena – sein erster großer Gig seit Jahren. Plötzlich geht eine Welle des Jubels durchs Publikum, und für einen Moment hat Blake das erhabene Gefühl, die Euphorie gelte ihm und seinem Song. Bis er merkt, dass nicht er das Publikum zum Toben bringt, sondern der blutjunge Countrysuperstar Tommy Sweet, der hinter ihm auf die Bühne geschlichen kommt, um ein Duett mit seinem alten Mentor zu singen.

Colin Farrell spielt diesen Tommy Sweet, und wenn er Blake beinahe schüchtern seine Ehre erweist und sich auf der Bühne mit spürbarer Ehrfurcht tief vor ihm verneigt, verschwimmen auf einmal die Grenzen zwischen Film und Leben: Dann wird Farrells Geste zur Hommage eines jungen Hollywoodstars an einen der großen Charakterdarsteller des amerikanischen Kinos.

Ambivalenter Status

Im Grunde bringt diese kurze, anrührende Szene die Karriere und den ambivalenten Status des Schauspielers Jeff Bridges auf den Punkt: Gerade auch unter jüngeren Kollegen genießt er höchsten Respekt für seine scheinbar angeborene Könnerschaft und seine künstlerische Integrität; vom Publikum hingegen wird er zwar seit jeher geschätzt, der große Jubel aber gilt fast immer den anderen. Man findet zu Jeff Bridges keine Youtube-Tributes und keine Fansites, eine Monografie über seine inzwischen 40 Jahre währende Karriere gibt es nicht, und selbst die größeren Zeitschriftenporträts der letzten vier Jahrzehnte kann man an einer Hand abzählen.

Jeff Bridges ist das, was man einen "Actor’s Actor" nennt, einer, dessen fein zieselierte Darstellungen unterschiedlichster Charaktere vor allem von Fachkollegen gewürdigt werden. "Es ist, als würde man einen Diamantschleifer beobachten", schwärmte John Goodman einmal, "und wenn man den fertigen Diamanten anschaut, denkt man nicht mehr an die Arbeit, die dahinter steckt – man sieht allein die Makellosigkeit."

Die Affiniät zur Schauspielerei wurde Jeff Bridges im wahrsten Wortsinn in die Wiege gelegt. Geboren im Dezember 1949 in Los Angeles als Sohn des Schauspielerehepaars Dorothy und Lloyd Bridges und als jüngerer Bruder des Schauspielers Beau Bridges, hatte er bereits im Alter von vier Monaten seine erste Rolle in dem Jane-Greer-Drama "The Company She Keeps". Sein Schauspielunterricht als Kind und Jugendlicher bestand aus Auftritten in Serienfolgen des Vaters: "Mein Dad sagte immer: ‚Willst Du diesen Part? Du wirst ein paar Wochen schulfrei haben.’ Und wenn man acht Jahre alt ist, hat das natürlich seinen Reiz."

Lässiger Umgang mir der Schauspielerei

Es mag an diesem sehr frühen, sehr lässigen Umgang mit der Profession liegen, dass Bridges sich in seinem Spiel bis heute eine seltene Natürlichkeit bewahrt hat. Er ist frei von Manierismen und legt selbst betont künstliche Charaktere wie etwa den mythischen Revolverhelden Wild Bill in Walter Hills gleichnamigem Film oder den Außerirdischen in John Carpenters "Starman" (1984) mit einer bewussten Zurücknahme äußerer Ticks an. Wo andere Akteure in die Vollen gehen würden, macht Bridges einfach – gar nichts. Selbst sein exzentrischer "Dude" in The Big Lebowski ist (von der White-Russian-Manie abgesehen) bei genauerer Betrachtung gänzlich frei von Marotten. Und es sagt bereits eine ganze Menge über Jeff Bridges’ Fähigkeiten – und vielleicht auch seine Ignoranz gegenüber Autoritäten –, dass es ihm gelungen ist, sogar im artifiziellen Schauspieluniversum der kontrollverrückten Coen-Brüder einen so unverfälscht-entspannten Stil zu bewahren.

"Er ist womöglich der natürlichste und am wenigsten ’selbst-bewusste’ Filmschauspieler aller Zeiten", schrieb die einflussreiche Kritikerin Pauline Kael bereits Anfang der Siebziger, nachdem Bridges sich mit Rollen in Bogdanovichs "Die letzte vorstellung" (’71), Robert Bentons bitterem Anti-Western "Bad Company" (’72) und John Hustons Boxerfilm "Fat City" (’72) einen Namen gemacht hatte – wenngleich allein "Last Picture Show" ein nennenswerter Kassenerfolg beschieden war.

Doch obwohl Bridges seinen Durchbruch zur Zeit und mit Regisseuren des New Hollywood hatte, parallel zu Schauspielern wie Ryan O’Neal, Robert De Niro, Harvey Keitel oder Al Pacino, wird er praktisch nie mit dieser Ära und dieser Clique von Charakterköpfen in Verbindung gebracht – den Ruhm der etwas älteren Kollegen aus New York konnte er trotz zweier früher Oscarnominierungen, für "Die Letzte Vorstellung" und Michael Ciminos "Die Letzten beißen die Hunde" (1974), sowieso nicht erreichen. In einer Zeit des exaltierten Method Acting hatte ein Mann, der vor der Kamera Gelassenheit demonstriert, fast zwangsläufig das Nachsehen: "Während ein Schauspieler wie Jeff Bridges den richtigen Ton trifft", brachte Kael das Dilemma auf den Punkt, "schlägt Robert De Niro bravourös einen bizarren, flamboyanten Ton an und erschafft so seine ganz eigene Wahrheit."

Zeitlose Kinomomente

Natürlich gibt es auch in Jeff-Bridges-Filmen Szenen, die er voll auskostet. Wenn er als Katastrophenopfer in Fearless (’93) eine Erdbeere betrachtet, um sie dann trotz seiner lebensbedrohlichen Allergie genussvoll schlürfend zu essen; oder wenn er als Revolverheld in "Wild Bill" den Mantel ausschüttelt, das Revers glättet und den Hut begradigt, bevor er zum Duell schreitet – dann sind das zeitlose Kinomomente, die den Charakter definieren und nicht die Virtuosität des Schauspielers ausstellen.

In den Siebzigern kam Bridges über den Status des ewigen Hoffnungsträgers nie wirklich hinaus, wenngleich seine Filme, damals allesamt Flops, aus heutiger Perspektive zu den interessantesten des Jahrzehnts gezählt werden müssen: Lamont Johnsons Tom-Wolfe-Verfilmung "Last American Hero" (’73) etwa zeigt ein faszinierendes Amerika zwischen Vietnam und Watergate. Jeff Bridges spielt darin einen Rennfahrer namens Junior Jackson, der lernen muss, sich in einem korrupten Sportbusiness für den Sieg zu verkaufen – und allein über leichte Änderungen seines Gesichtsausdrucks zeigt Bridges, dass der "amerikanische Held" Jackson mit jedem Gewinn ein kleines Stück seiner selbst verliert.

Lässiger Sunnyboy

In Bob Rafelsons schräger Fitness-Milieustudie Stay Hungry (’76) verkörpert er an der Seite von Arnold Schwarzenegger und Robert "Freddy Krueger" Englund einen glatten Geschäftsmann, der in der Welt der Bodybuilder zu sich selbst findet. Und in William Richerts zu Unrecht vergessenem Verschwörungsfilm "Winter Kills" (’79) sowie Ivan Passers meditativem Krimi "Cutter’s Way" (’81) kommt er als lässiger Sunnyboy mörderischen Komplotten auf die Spur – exzellent gespielte Genrereflexionen beide, die jedoch seltsam alle dramaturgischen Erwartungen unterliefen und sogar die zeitgenössischen Kritiker verwirrten.

Erst in den achtziger Jahren kam Jeff Bridges als Männertyp mit dem sich wandelnden Publikumsgeschmack zur Deckung: Mit seiner hochgewachsenen, durchtrainierten Statur, dem vollen Haar, dem blendenden Aussehen und seiner California-Coolness entsprach er dem Ideal des energetischen, gleichsam innerlich zerrissenen White-Collar-Helden dieses Jahrzehnts (nicht umsonst war er die erste Wahl für die Rolle des Sonny Crockett in "Miami Vice"). Sei es als sexy Privatdetektiv in Taylor Hackfords aalglattem Tourneur-Remake "Gegen jede Chance" (’84), als reicher, manipulativer Mordverdächtiger in Richard Marquands "Das Messer" (’85) oder als nonchalanter, künstlerisch frustrierter Lounge-Sänger in "Die fabelhaften Baker Boys" (’89) – endlich wurde Bridges auch beim Publikum jene Popularität zuteil, die er sich in den Jahren zuvor verdient hatte.

Keine andere Wahl

"Mein modus operandi ist Widerstand", erklärte Bridges unlängst der "Los Angeles Times", "ich versuche, mich überhaupt nicht um Jobs zu bemühen. Ich nehme nur Projekte an, bei denen ich irgendwann keine andere Wahl mehr habe. Was auch immer mich einsaugt, wem es gelingt, meinen Widerstand zu durchbrechen, das sind die Projekte, die ich angenommen habe." Wenn man dieses Statement nicht sowieso als pure Koketterie betrachtet, scheint es um Jeff Bridges’ Widerstandsfähigkeit nicht allzu gut bestellt zu sein: Mit einer Filmografie von über 60 Kinofilmen und zwei bis drei neuen Filmen pro Jahr ist er so produktiv wie kaum ein anderer zeitgenössischer Schauspieler.

Wirklich "bankable" ist er freilich bis heute nicht. Zu unberechenbar ist er in seiner Rollenwahl, um mit einem festen Image eine Fangemeinde an sich zu binden. Auch könnte man ihn als lebenden Beweis dafür nehmen, dass das Publikum bei einem Schauspieler genau jene kleinen, wiederkennbaren "Markenzeichen" braucht, denen Bridges sich verweigert: Jack Nicholsons hochgezogene Augenbrauen, De Niros skeptische Stirnfalten, Clooneys Siegerlächeln – das sind sehr bewusst eingesetzte Eigenarten, die ein Gefühl der Vertrautheit erzeugen. Bei Bridges sucht man danach vergeblich, was ihn allerdings auch davor bewahrt hat, zu einer Karikatur seiner selbst zu werden, wie es den alten Haudegen des New Hollywood immer wieder passiert.

Die Gunst des Publikums

Er hat auch nie um die Gunst des Publikums gebuhlt. Seine Charaktere sind im schlimmsten Fall echte Kotzbrocken (wie der arrogante Radiomoderator in "König der Fischer", der beinharte Skipper in "White Squall" oder der selbstgefällige Schriftsteller in "The Door in the Floor") und im besten Fall verschrobene Typen, die sich mit ihrer leicht schläfrigen, gerne etwas angesäuerten Attitüde in einer ganz anderen Sphäre zu bewegen scheinen als ihre Umwelt (und die Zuschauer): Max Klein in "Fearless", der nach einem überlebten Flugzeugabsturz wie ein fleischgewordener Engel durchs Leben treibt; Professor Faraday in "Arlington Road" (’99), der nach dem Tod seiner Frau in einem Käfig aus Trauer und Paranoia zu leben scheint; US-Präsident Evans in "Rufmord – Jenseits der Moral" (2000), der alles mögliche im Kopf hat, nur nicht die Regierungsgeschäfte; oder natürlich der alternde Slacker in "The Big Lebowski" (’98), der Bridges dann doch so etwas wie einen "Kultcharakter" bescherte.

Aber so sehr der "Dude" mit seinem abgerockten Bademantel (angeblich Bridges‘ Privateigentum) und seiner Vorliebe für kalziumhaltige Cocktails zu seiner definierenden Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung wurde, so wenig hat er sich von diesem Image vereinnahmen lassen. Keiner seiner Filmcharaktere der folgenden Jahre wirkt wie eine billige Variation dieser Figur, im Gegenteil: Der rationale Psychologe in "K-Pax" (’01) oder der introvertierte Mäzen in "Seabiscuit" (’03) könnten kaum weiter von der surrealen Welt des Big Lebowski entfernt sein.

 

Am ehesten lassen noch seine beiden aktuellen Rollen an den Dude zurückdenken: als Parodie der New-Age-erprobte Militärstratege Bill Django in Männer die auf Ziegen starren ("Wenn der Dude irgendwie bei der Army gelandet wäre und von dieser Einheit, der New-Earth-Army, gehört hätte, dann hätte er sich dort beworben") und als Kontrapunkt der abgebrannte, in Bowlingbahnen auftretende Countrysänger in "Crazy Heart", dessen dudemäßige Leck-mich-am-Arsch-Haltung ganz und gar nichts "Kultiges" hat. "Crazy Heart", dieser Titel umschreibt natürlich auch den Schauspieler, Musiker und Fotografen Jeff Bridges. Und der weiß, dass es selbst mit 60 noch zu früh ist, um sich auf einen bestimmten Typus festlegen zu lassen.


Dieser Text stammt aus dem Fachmagazin "epd film".