Vor Zuständen warnen, von denen man profitiert - tut man das?
Wenn Experten im gesetzten Alter vor Zuständen warnen, von denen sie selbst gut gelebt haben - wie muss das auf jüngere Menschen wirken? Vermutlich irritierend. Und ist es das Gebaren nicht geradezu heuchlerisch?

Beim Internetportal www.das-tut-man-nicht.de können Nutzer Fragen stellen, wenn sie sich nicht sicher sind, ob eine Angelegenheit in gesellschaftlicher, moralischer, ethischer, sozialer oder religiöser Sicht in Ordnung ist oder eben auch nicht. Experten beantworten die ausgewählten Fragen. Wir stellen jede Woche ein Problem samt Antwort zur Diskussion.

Die Frage:

Ich bin 28 und sehr leistungsbereit. Ich will viel arbeiten, viel verdienen und viel konsumieren. Mich stört, dass immer mehr so genannte "Autoritäten" der Volkswirtschaft davon reden, dass das Wachstum in Deutschland nicht unendlich ist und wir uns über kurz oder lang mit weniger Wachstum bescheiden müssten. Mich irritiert sehr, dass die meisten von ihnen über 60 sind und ein Leben in wachsendem Wohlstand hinter sich haben. Täuscht mein Eindruck, dass sie jahrzehntelang von dem profitiert haben, was sie jetzt geißeln? Tut man das? Ich finde das in höchstem Maße heuchlerisch.

Die Antwort: von Stefan Bergheim. Er ist Gründer und Direktor des Zentrums für gesellschaftlichen Fortschritt, einer unabhängigen Denkfabrik in Frankfurt am Main. Zwischen 1995 und 2008 war Bergheim als Volkswirt tätig, unter anderem für Merrill Lynch und J.P.Morgan. Zuletzt befasste er sich für Deutsche Bank Research mit den Themen Wachstum, Demografie, Bildung und Lebenszufriedenheit. Bergheim ist Volkswirt mit Diplom von der Universität Saarbrücken, drei Jahren Ph. D. Studium in den USA und einem Doktortitel von der WHU in Vallendar.

"Niemand sollte Sie daran hindern, viel zu arbeiten, viel zu verdienen und viel zu konsumieren. Tun Sie das. Sie sind jung, haben Schwung, vermutlich eine gute Ausbildung und stehen erst am Beginn Ihres Arbeitslebens. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen bei Ihren Vorhaben in den nächsten Jahren.

Es ist aber gut möglich, dass Sie in 10 oder 20 Jahren – nachdem Sie beruflich viel erreicht haben – etwas andere Prioritäten setzen. Vielleicht sind Ihnen ein hohes Einkommen und ein großes Auto dann nicht mehr ganz so wichtig. Vermutlich wollen Sie mehr Zeit mit der Familie verbringen und Sie fragen sich, ob Ihre Gesundheit unter Ihrer Karriere zu sehr gelitten hat. Das mag Ihnen heute abwegig erscheinen, aber viele Menschen vor Ihnen haben ähnliches mitgemacht.

Die "Autoritäten" über 60 wollen Ihnen Ihren Schwung nicht nehmen. Nur leider gibt es in Deutschland nicht so viele Menschen wie Sie: jung, gut ausgebildet und mit viel Elan. Einer immer größer werdenden Zahl von Rentnern stehen relativ weniger Hochschulabsolventen gegenüber. Damit wird ein solides Wirtschaftswachstum für das Land insgesamt immer schwieriger. Ein Naturgesetz ist das aber nicht: wir könnten länger arbeiten und unser Bildungssystem endlich flott machen, was uns vermutlich auch insgesamt glücklicher machen würde. Auf das vermutlich schwache Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren können die "Autoritäten" schon hinweisen – sollten dann aber ehrlicherweise auch auf ihre eigene Verantwortung für diese Situation eingehen."

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