Was, wenn Margot Käßmann ein Mann gewesen wäre ...?
Nach dem Rücktritt von Margot Käßmann als Ratsvorsitzende der EKD ist viel darüber spekuliert worden, wie der Fall ausgegangenen wäre, wenn ein Mann das Amt bekleidet hätte und ihm der Fehler unterlaufen wäre. Aber wird man mit dieser Frage überhaupt Margot Käßmann gerecht?
03.03.2010
Von Eva Kohlrusch

Natürlich ist das eine der ersten Fragen, die sich vor allem Frauen stellte: Wäre die Entwicklung rund um den Fall Käßmann genauso verlaufen, wenn ein Mann sturzbetrunken eine rote Ampel überfahren hätte? Wäre nicht darüber hinaus schon die Wahrnehmung der Amtsperson von Anfang an eine ganz andere gewesen, wenn die Evangelische Kirche weiterhin von einem Mann repräsentiert worden wäre statt von dieser endlich und erstmals gewählten Frau?

Muster des Durchhaltens

Nun, nachdem alles entschieden ist, wissen wir: Margot Käßmann hat alles, was peinlich hätte sein können bei ihrem Abgang, ins Positive verkehrt. Hat volle Verantwortung fürs eigene Tun übernommen, widerstand jeglicher Versuchung, die Sache aussitzen zu wollen, ließ sich nicht einmal von inständigen Bitten verlocken, sie möge an ihrem Platz bleiben, weil sie genau dort ein Kleinod für die Kirche gewesen sei. Ohne Umschweife, hart gegen sich selbst trat sie zurück – "mir geht es auch um aus Respekt und Achtung vor mir selbst". Eine ähnliche Gradlinigkeit sah man bei Männern in hohen Ämtern eher selten.

Es lohnt sich also, noch ein wenig über die ersten spontanen – zugegebenermaßen voreingenommenen – Fragen nachzudenken. Es könnte ja sein, dass vor allem Frauen eines Tages Margot Käßmann übel nehmen, dass sie durch so eine platte Verfehlung wie ihre Trunkenheitsfahrt eine so wichtige Bastion wie den Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche verlor und womöglich für viele Jahre für Frauen verloren machte. Auch könnte sein, dass es auf Frauen allgemein zurückschlägt, wenn eine von ihnen nicht heil durch die Fährnisse eines hohen Amtes schippert. Immer noch ist es so, dass einzelne Frauen zwar schaffen, eine mächtige Position zu erreichen, dann aber scheitern, sich dort zu halten, weil ihnen gewisse Muster des Durchhaltens fehlen. Oder doch eher, weil sie nicht aushalten wollen, was ihnen an Zumutungen in dünner Luft begegnet?

Der Unterschied zu Männern

Fakt ist: An Frauen wird ein anderer Maßstab gelegt als an Männer. Das zeigt sich schon dadurch, dass sie sich nicht nur als Profis legitimieren müssen, sondern doppelt und dreifach als Frau, als Mutter, als Privatmensch bis hin zu der Frage, warum sie denn überhaupt eine Karriere anpeilen. Fakt ist auch, dass sie strenger und aufgeregter beurteilt werden, wenn sie Kritik auf sich ziehen. Die erste, die in Deutschland Bischöfin werden durfte – die Hamburgerin Maria Jepsen – musste heftigste Anwürfe wegen angeblicher "Unbescheidenheit" durchstehen, weil ihr ein 120 qm großes Haus (Wert damals: eine Million D-Mark) zur Verfügung gestellt werden sollte. Kampflos entschied sie sich dann für einen Amtssitz in einer Mietwohnung.

Heide Pfarr (SPD), seinerzeit Ministerin in Hessen, stürzte darüber, dass sie wegen ihres beruflich bedingten Umzugs 53.000 Mark für einen Einbau in der Privatwohnung abrechnen wollte. Sie verschwand von der politischen Bühne, während etwa Hans Eichel weiter Karriere machte, obwohl er etwa zur selben Zeit 200.000 Mark Staatsgelder u.a. für den Einbau eines Zimmers für ein Kindermädchen in seiner Villa begehrt hatte. Rita Süßmuth (CDU) wurde für zukünftige Ämter blockiert, weil sie ihren Dienstwagen für Privatfahrten nutzte. Carola von Braun (FDP) scheiterte gar, weil sie es legitim fand, Friseurrechnungen für ihre Wahlkampfauftritte bezahlt zu bekommen. Es hatte durchaus den Anschein, als sollten hier genau solche Frauen klein gemacht werden, die sich deutlich für frauenpolitische Belange einsetzten. Doch letztlich bestand und besteht der Unterschied zu Männern darin, dass Frauen seltener auf stur schalten angesichts eigener Fehler, sondern sich vorwerfen, zu unsensibel gewesen zu sein gegenüber dem eigenen Tun.

Ihre Offenheit macht sie angreifbar

Tatsächlich existiert ein besonderes Handicap für Frauen, wenn sie Ämter übernehmen: Sie wollen sich nicht als Person aufspalten. Keine Trennung zwischen politischem Credo und ganz privatem Gespräch. Die ganze Partitur wollen sie, ungeteilt, authentisch. "Wenn ich nicht mehr sein kann, wie ich bin, dann kann ich dieses Amt nicht mehr ausüben", sagte Margot Käßmann schon während der Afghanistan-Debatte, als manche ihr vorhielten, ihr Predigtzitat "Nichts ist gut in Afghanistan" sei naiv und beleidige die verzweifelt kämpfenden Soldaten. "Was ist los, wenn Kirche nicht mehr sagen darf, dass Kriege nicht sein dürfen?", fragte sie, willens christliche Grundsätze und politische Einmischung miteinander zu verflechten. Auch bei privaten Themen teilte sie sich nie in die Amtsperson und die persönlich Betroffene. Sprach über ihren Krebs, über ihre Scheidung, über Ängste beim Altwerden, über die eigene Frömmigkeit wie über zeitweiliges Zweifeln.

Die Menschen – vorwiegend ihre Zuhörerinnen in der Kirche und die Leserinnen ihrer Bücher – lieben sie für ihre unprätentiöse Art. Aber genau diese Offenheit macht sie angreifbar. Es bleibt ja kaum etwas verborgen von ihr als Person. Alle Storys und Gedanken sind abgespeichert in den Archiven. Immer ist sie erkennbar als ganzer Mensch mit ihren Schwächen und Ansprüchen. Männer haben es in der langen Geschichte ihrer Macht anders gehalten. Haben Amt und privates Verhalten streng getrennt, sich als reale Person unkenntlich gemacht, indem sie sich einhüllten in ihre Ämter, versteckt hinter der öffentlich zur Schau getragenen Rolle, niemals die nackte kleine Kreatur, sondern bekleidet mit Uniformen, Talaren, Titeln und Ritualen, bis sie nur noch Symbole waren. Ungreifbar, unfehlbar.

Sie hat sich selbst zum Vorbild gemacht

Ein Zitat aus der Zeit kurz nach ihrer Wahl zur Ratspräsidentin zeigt, wie deutlich Margot Käßmann vor Augen stand, dass sie mit ihrem Anspruch des offenen Zugangs auf Menschen gar nicht anders handeln konnte als zurückzutreten in die Rolle als einfache Pastorin. "Es gab dieses Gefühl, beobachtet zu werden. Hält sie durch oder nicht?", schreibt sie in ihrem Bestseller 'In der Mitte des Lebens'. "Es gab Zurückweisung, Häme, Giftspritzen ohne Absender, Leserbriefe ohne Barmherzigkeit, die Freude am 'tiefen Fall' eines Menschen, eine Lust geradezu in der Herabsetzung". Das wollte sie nie wieder erleben. Nie wieder. Sie hätte es erlebt. Sie wäre aufgezogen und geächtet worden wie auch der Mann Häme und Verachtung auf sich gezogen hätte, der betrunken am Steuer andere gefährdet. Kein Unterschied. Außer diesem: Sie wäre immer wieder in voller Breitseite mit dem gemachten Fehler konfrontiert worden – nicht nur als Ratspräsidentin, sondern als Frau, als Mutter, als Trösterin, Mahnerin, Liebende. Aber was machen wir uns Gedanken: Sie hat sich selbst zum Vorbild gemacht durch ihren Rücktritt. Das Amt muss sie nicht mehr schützen. Nur noch sich.


Eva Kohlrusch ist Kolumnistin des Magazins "Bunte". Zudem ist sie Vorsitzende des Journalistinnenbund.