Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. In einem Grundsatzurteil erklärten die Karlsruher Richter am Dienstag die Vorschriften in ihrer bisherigen Form für verfassungswidrig. Die vorsorgliche und anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten sei nicht mit dem Telekommunikationsgeheimnis vereinbar, erklärte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Bislang gesammelte Daten müssten "unverzüglich" gelöscht werden. (AZ: 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08)
Die Richter entschieden, dass eine Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang zwar nicht von vornherein verfassungswidrig sei. Es fehle aber an einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung. Die Vorschriften gewährleisteten weder eine hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Nutzung.
"Klatsche für Gesetzgeber"
Die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, nannte den Richterspruch eine "Klatsche für den Gesetzgeber". Dieser habe versucht, die Verfassung mit Füßen zu treten und eine "Politik des Generalverdachts" betrieben, sagte Roth, die zu den Klägern gehört, in Karlsruhe. Der Gesetzgeber müsse nun schnell nachbessern. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast betonte in Berlin, ihre Partei werde "genau hinschauen", wenn die Bundesregierung nun ein neues Gesetz auflege. FDP-Generalsekretär Christian Lindner wertete das Urteil als großen Erfolg für seine Partei und die Bürgerrechtspolitik. Der Staat dürfe nicht unverhältnismäßig leicht Zugriff auf riesige Datenbestände haben, mit denen Persönlichkeitsprofile ausgerechnet werden können, sagte Lindner in Berlin.
Das seit 2008 geltende "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung" setzt teilweise eine Richtlinie der Europäischen Union um und schreibt unter anderem vor, dass Telekommunikationsunternehmen die Daten von Telefon-, E-Mail- und Internetverbindungen ein halbes Jahr lang speichern. Inhalte sind davon nicht betroffen.
Nach Auffassung der Richter geht das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung über die europarechtlich vorgegebene Zielsetzung hinaus. Diese sei im Wesentlichen auf die Speicherungspflichten selbst beschränkt und könne deshalb auch ohne Verstoß gegen das Grundgesetz umgesetzt werden.
Journalistenverbände erleichtert
Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), hatte vor der Urteilsverkündung vor negativen Folgen für die Terrorbekämpfung in Deutschland gewarnt. Viele Straftaten könnten nur mit den Daten aus der Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt werden, sagte Bosbach der "Bild"-Zeitung (Dienstagsausgabe).
Journalistenverbände werteten den Richterspruch als "Sieg für den Informantenschutz und die Pressefreiheit". Medienvertreter und ihre Informanten müssten nun nicht mehr befürchten, dass Ermittler ihre Telefon- und E-Mail-Daten lesen und auswerten, erklärte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Michael Konken, in Berlin. Auch die Deutsche Journalisten-Union (dju) begrüßte das Urteil.
Insgesamt hatten rund 35.000 Bürger, verteilt in drei Gruppen, im größten Massenverfahren in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts geklagt. Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) schloss sich der Beschwerde an.