Am Ende klappt es so, wie es sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, gewünscht hat: Kurz vor seinem Abschied nach zwölf Jahren im Amt wird er an diesem Dienstag das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung verkünden. Nur drei Wochen nach dem Hartz-IV-Urteil blicken Politik und Bevölkerung erneut gespannt nach Karlsruhe. Wieder werden deutliche Worte erwartet. Schließlich hat Papier ein Grundsatzurteil zu der Massenspeicherung von Telefon- und E-Mail-Verbindungsdaten angekündigt - und zwar eines, das in ganz Europa Beachtung finden wird.
Historisches Verfahren schon vor der Urteilsspruch
Nach dem umstrittenen Gesetz, das eine EU-Richtlinie umsetzt, werden Verbindungsdaten aus der Telefon-, Mail- und Internetnutzung sowie Handy-Standortdaten für sechs Monate gespeichert. Die Inhalte der Gespräche und Mails sind nicht betroffen. Abrufbar sind sie für Zwecke der Strafverfolgung sowie der Gefahrenabwehr.
Historisch ist das Verfahren schon vor dem Urteilsspruch: Fast 35.000 Menschen haben Verfassungsbeschwerde eingelegt gegen das seit 2008 geltende Gesetz, das die große Koalition aus CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von FDP, Grünen und Linkspartei beschlossen hatte. Das ist ein Rekord in der Geschichte des höchsten deutschen Gerichts. Selbst die Kritiker der Volkszählung in den 1980er Jahren, die damals die ganze Republik bewegte, brachten nur rund 1.300 zusammen.
35.000 Kläger blicken mit gemischten Gefühlen nach Karlsruhe
Wesentlichen Anteil am Erfolg hatte das Internet: Bürgerrechtler und Datenschützer nutzten die Homepage des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, in dem sich mehrere Gruppen zusammengeschlossen haben, zum Austausch und für die Planung. Hinzu kamen klassische Info-Stände und Demonstrationen auf den Straßen.
Am Ende kamen rund 34.900 Kläger zusammen, die der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik vertritt. Die Gruppe blickt mit gemischten Gefühlen nach Karlsruhe: "Wir haben die Hoffnung, dass das Gericht das Gesetz für verfassungswidrig erklärt", so Arbeitskreis-Sprecher Florian Altherr. Sicher sind sich die Gegner aber nicht. Möglicherweise gebe sich das Gericht damit zufrieden, den Zugriff der Behörden auf die Daten zu beschränken.
Drei Klägergruppen
Insgesamt gibt es drei Klägergruppen. Eine von ihnen vertritt der FDP-Politiker Burkhard Hirsch, der Kläger und zugleich Anwalt der Gruppe ist. Der Grünen-Politiker Volker Beck hat mit mehr als 40 Abgeordneten seiner Partei Beschwerde eingelegt. Auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gehört zu den Beschwerdeführern. Die amtierende Bundesjustizministerin war aber wegen ihres "Rollenkonflikts" nicht selbst zu der Anhörung im vergangenen Dezember nach Karlsruhe gekommen.
Damals wurde über gut 60 Verfahren exemplarisch verhandelt. Dabei hatten die Richter Zweifel an der weitreichenden Nutzbarkeit der Verbindungsdaten erkennen lassen. Es sei fraglich, ob der Bundesgesetzgeber nicht klarere Grenzen für den Abruf der Daten zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung hätte ziehen müssen, sagte Gerichtspräsident Papier damals.
Einschränkung von Grundrechten befürchtet
Die Kläger gehen viel weiter: Sie befürchten mit dem Gesetz einen "Dammbruch" bei der Einschränkung von Grundrechten. Das Gesetz berühre den "Kern der Persönlichkeit" der Bürger, betonte der FDP-Politiker Hirsch. Gespeichert werde "jeder elektronische Atemzug" unverdächtiger Bürger. Der Grünen-Politiker Beck warnte vor einem "schwarzen Tag für die Magna Charta des Datenschutzes".
Die Sicherheitsbehörden betonen dagegen die Notwendigkeit der Speicherung für die Aufklärung von Straftaten. Das Internet ermögliche die Bildung dezentraler und transnationaler krimineller Netze, die ohne die Vorratsdaten nicht aufzudecken seien.
Werden die Karlsruher Richter das Gesetz kippen?
Die Karlsruher Richter haben das Gesetz mit zwei Eilentscheidungen vorerst eingeschränkt. Nun ist die Frage, ob sie es ganz kippen. Sicher scheint: In Gänze wird die Vorratsdatenspeicherung Karlsruhe kaum überstehen.
Zweifel an der von der EU initiierten Sammelei hat offenbar auch die neue EU-Justizkommissarin Viviane Reding. Sie kündigte eine grundlegende Überprüfung der entsprechenden EU-Richtlinie an, berichtete der "Spiegel".