Böhmer: Hartz-IV-Spirale bei Migranten stoppen
Dramatisch nennt die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, die Quote der Migranten unter den Beziehern von Hartz IV. Sie fordert eine Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Zudem müssten die Arbeitsagenturen ihre Vermittlungsarbeit stärker auf die Migranten ausrichten. Nur so sei die "Hartz-IV-Spirale" zu durchbrechen.

Frage: Frau Böhmer, was halten Sie von den Vorwürfen, unser Sozialsystem sei gerade für Migranten viel zu verlockend, da sie mit Hartz IV in Deutschland ein besseres Leben hätten als in der Heimat?

Böhmer: Die Zeiten, dass unser Sozialsystem eine Einwanderung in die sozialen Netze auslöst, sind lange vorbei. Das ergibt sich auch aus dem Migrationsbericht 2008. So wandern im Saldo weniger Ausländer nach Deutschland ein, als dies noch in Vorjahren der Fall war. 2008 betrug der Wanderungsüberschuss bei Ausländern knapp 11.000, im Jahr 2007 waren es noch etwa 99.000 Zuzüge.

Frage: 28 Prozent der Hartz IV-Empfänger sind Migranten. Woran liegt das?

Böhmer: Die hohe Zahl von Migranten, die Hartz IV beziehen, ist dramatisch. Vielen von ihnen fehlt die Voraussetzung, eine Arbeitsstelle zu bekommen. Häufig verfügen sie nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse. Überdurchschnittlich oft fehlt auch ein Schulabschluss oder eine qualifizierte Ausbildung. Zugleich gibt es aber auch gut ausgebildete Migranten, die Hartz IV beziehen. So hat rund ein Drittel der arbeitslosen männlichen Migranten einen ausländischen Berufsabschluss, der jedoch in Deutschland nicht anerkannt wird. Wer Migranten pauschal als arbeitsunwillig darstellt, liegt also falsch.

Frage: Was kann die Regierung im Zuge der anstehenden Hartz-IV-Reform tun, um mehr Migranten aus Hartz IV herauszuholen?

Böhmer: Um die Spirale von Hartz IV durchbrechen zu können, zählen Sprache, Bildung und Ausbildung. Wer kein Deutsch kann, hat keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitsagenturen müssen ihre Vermittlungsarbeit stärker auf die Zielgruppe der Migranten ausrichten. Schulen mit einem hohen Migrantenanteil brauchen mehr Geld, mehr Lehrer und Sozialarbeiter sowie mehr Zeit. Wichtig ist auch eine fundierte Ausbildung. Hier ziehen Wirtschaft und Politik beim Ausbildungspakt an einem Strang. Jugendliche aus Zuwandererfamilien werden in diesem Ausbildungsjahr noch mehr in den Blick genommen.

Frage: Scheitert nicht alles am Grundproblem, dass es einfach nicht genug Arbeit für gering qualifizierte Menschen gibt?

Böhmer: Ja. Dafür sind aber zunehmend Fachkräfte gefragt. Nur ein qualifizierter Schulabschluss öffnet die Türen in den Arbeitsmarkt. Ich setze hierbei insbesondere auf die Migrantenorganisationen, dies auch den Eltern zu vermitteln. Für die vielen gut qualifizierten Akademiker und Fachkräfte mit ausländischen Abschlüssen müssen wir in diesem Jahr schnell eine gesetzliche Regelung treffen. Allein eine halbe Million zugewanderte Akademiker können ihre Kompetenzen nicht einbringen, weil ihr Abschluss nicht anerkannt wird. Dabei werden ihre Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt dringend gebraucht. Die Eckpunkte für ein Anerkennungsgesetz hat das Bundeskabinett verabschiedet.

Frage: Müssten nicht Anreize für Unternehmen geschaffen werden, um mehr Migranten einzustellen?

Böhmer: "Immer mehr Arbeitgeber erkennen die Chancen, die in der Vielfalt liegen. In vielen Bereichen der Wirtschaft ist der demografische Wandel bereits spürbar: Migranten sind die Fachkräfte von morgen. Zudem sind Zuwanderer Brückenbauer. Unternehmen profitieren in der Globalisierung von den Sprachkenntnissen und kulturellen Erfahrungen der Migranten. Die Arbeitgeber haben durch die Beschäftigung von Zuwanderern einen handfesten Gewinn - das ist der Anreiz.

Frage: Könnte im öffentlichen Dienst eine Migrantenquote helfen?

Böhmer: Auch im öffentlichen Dienst benötigen wir mehr Migranten, etwa bei der Polizei, bei der Feuerwehr, in der Kommunalverwaltung, sowie insbesondere in Schulen und Kindergärten. Eine Quote ist aber nicht das richtige Instrument. Denn die Verteilung der Migranten ist sehr unterschiedlich. In Industrieregionen treffen wir auf einen sehr hohen Migrantenanteil, in anderen Regionen haben wir nur sehr wenige.

dpa