Muammar al-Gaddafi (67) ist ein Chamäleon. Wenn ihm der Sinn danach steht, gibt er den väterlichen afrikanischen Herrscher. Anderntags spielt er den Beduinen, der das einfache Leben im Zelt genießt. Seit neuestem gefällt sich der "Bruder Führer" in der Rolle des islamischen Vordenkers. In weißer Robe kniet er auf seinem Gebetsteppich nieder. Hinter ihm beten Stammesführer und Staatschefs aus den islamischen Staaten Afrikas. Gaddafi hat sie am Donnerstagabend eingeladen, mit ihm in Bengasi den Geburtstag des Propheten Mohammed zu feiern. Nach dem Gebet nimmt Gaddafi auf dem Podium Platz, um sich seinem aktuellen Lieblingsthema zu widmen: dem Hass auf die Schweiz.
Diesmal ruft er sogar zum Heiligen Krieg ("Dschihad") gegen die Eidgenossen auf. Die Schweizer hätten es nicht besser verdient, weil sie die von Muslimen auf ihrem Staatsgebiet errichteten Moscheen und Minarette zerstörten, poltert der Revolutionsführer. Dass sich die Mehrheit der Eidgenossen bei der umstrittenen Volksabstimmung im vergangenen November nicht für die Zerstörung islamischer Gotteshäuser sondern lediglich gegen den Neubau von Minaretten ausgesprochen hatte, ist ein Detail, auf das Gaddafi nicht eingehen mag. Stattdessen erinnert er seine Gäste daran, dass der Dschihad keine freiwillige Entscheidung, sondern eine Pflicht für die Gemeinschaft der Gläubigen sei. Wer jetzt noch mit Schweizern Geschäfte mache und Landegenehmigungen für Flugzeuge aus der Schweiz erteile, sei demnach ein Ungläubiger.
Zwischen Deutschland, Frankreich und Italien aufteilen?
Dass Gaddafi die neutrale Alpenrepublik am liebsten ganz von der Landkarte tilgen würde, seitdem sein Sohn Hannibal im Sommer 2008 in Genf unter dem Verdacht der Misshandlung von Hausangestellten vorübergehend festgenommen worden war, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Im vergangenen Jahr schlug Gaddafi den Vereinten Nationen sogar vor, das Schweizer Staatsgebiet zwischen Deutschland, Frankreich und Italien aufzuteilen. Neu ist nur, dass der nachtragende Oberst aus Tripolis jetzt religiöse Argumente für seine Anti-Schweiz-Kampagne heranzieht.
Der Aufruf zum Dschihad gegen die Schweiz ist trotzdem nicht wörtlich zu nehmen. Die Schweizer Armee wird sich nicht auf die Abwehr libyscher Fallschirmjäger im Berner Oberland vorbereiten müssen. Und obwohl Gaddafi seinen jähzornigen Sohn nach dem karthagischen Feldherrn Hannibal (um 246 bis 183 vor Christus) benannt hat, steht in den Alpen keine libysche Invasion bevor - weder mit noch ohne Kriegselefanten. Doch ein Rückschlag für die EU, die in den vergangenen Monaten versucht hatte, den Konflikt zwischen der Schweiz und Libyen zu entschärfen, ist die jüngste Verbalattacke von Gaddafi senior allemal.
Die EU wird in den Streit hineingezogen
Dass die Europäer vermitteln, ist nicht unbedingt ein Akt der Solidarität mit der von Gaddafi drangsalierten Alpenrepublik. Vielmehr geht es um handfeste Interessen. Erstens wünschen sich die südeuropäischen Staaten, die das Hauptziel illegaler Migranten sind, eine engere Zusammenarbeit mit Libyen, um den Menschenschmugglern, die ihre Boote in Nordafrika haben, das Handwerk zu legen. Zweitens sind einige europäische Regierungen verärgert, weil sie von den Schweizern in den Streit mit Gaddafi hineingezogen wurden.
Denn die Schweizer hatte vor einigen Tagen aus Frustration darüber, dass Libyen seit der Hannibal-Affäre zwei Schweizer Geschäftsleute monatelang an der Ausreise hinderte, ein Einreiseverbot für 188 hochrangige Libyer verhängt. Da für diese Libyer damit auch Reisen in den gesamten Schengen-Raum unmöglich wurden, konterte die libysche Führung, indem sie am 15. Februar erklärte, sie wolle ab sofort keine Visa mehr für Bürger der Schengen-Staaten ausstellen. Einer der beiden Schweizer Geschäftsleute konnte Libyen zwar inzwischen verlassen. Doch der zweite Schweizer, Max Göldi, sitzt noch im Gefängnis, wo er eine viermonatige Haftstrafe wegen illegalen Aufenthalts absitzen soll. Da Gaddafi aber immer für eine Überraschung gut ist, schließen Beobachter in Libyen auch eine Begnadigung des Schweizers nicht aus.