Störungen im Betriebsablauf (Folge 20)
Eine traurige Woche hat unsere Pendlerin und Kolumnistin Ursula Ott hinter sich. Mit Streit, Rücktritt und "Personen im Gleis". Die nächste Woche muss wieder besser werden.
26.02.2010
Von Ursula Ott

Meine Woche vom 22. bis 26. Februar

Montag

Für Pendler ist dies keine gute Woche. Die Lufthansa hat Streik angesagt – wer ein Flugticket gebucht hat, kann kostenlos auf die Bahn umbuchen. Für uns Bahnfahrer ist dies eine schlechte Nachricht, denn wir haben heute morgen in der Bildzeitung gelesen, dass Bahnchef Grube die Lage nicht mehr im Griff hat. Sehr unangenehm sei ihm das, sagt er im Interview, aber es müssten nun mal alle Achsen überprüft werden, drum fahren wir bis auf weiteres in halber Länge von Köln nach Frankfurt. Dafür in doppelter Besetzung, wg Lufthansa. Heissa, dann kloppen sich um jeden Sitz nicht nur zwei, sondern vier Passagiere. Ein Glück, dass ich diese Woche ganz in Frankfurt bleiben kann, die Kinder sind beim Vater. Und so stehe ich morgens im Autostau am Frankfurter Kreuz und wundere mich: Ein Lufthansa-Flieger nach dem anderen startet am Frankfurter Flughafen. Streikbrecher? Tarifpartner? Notflugplan? Egal, es soll ja meine letzte Fahrt für diese Woche sein, dies könnte mal eine richtig ruhige Woche werden.

Dienstag

Ich übernachte in Frankfurt, mein Handy klingelt um 7. Ob ich schon die Bildzeitung gesehen habe? Bischöfin Käßmann mit 1,1 Promille geschnappt. Wie bitte, soll das ein schlechter Witz sein? Ich ahne: Dies wird doch keine ruhige Woche. In der Redaktion herrscht angespannte Stimmung. Sie wird doch nicht zurücktreten? Nach so vielen Stürmen, nach so vielen Fights mit Politikern, Militärs und orthodoxen Christenmännern – wird ja wohl nicht ausgerechnet eine rote Ampel und eine Polizeistreife ihre Karriere stoppen? Vielleicht ja doch. Die rasende Bischöfin, haben vor kurzem, zu ihrem 100-Tage-Jubiläum, die Medien gedichtet. Bis zu fünf Termine am Tag, das war ihr Pensum, immer mit Fahrer. Samstagnacht war sie privat unterwegs, ohne Fahrer. Fast jeder, der die Nachricht hört, denkt: Nein, das darf nicht sein. Und: Wann bin ich das letzte Mal leichtsinnig Auto gefahren? Mit Alkohol fahre ich fast nie, aber übermüdet. Oder mit Handy. Soll mal keiner behaupten, das könne ihm nicht passieren.

Mittwoch

Nein, diese Woche wird definitiv nicht ruhig. Die Gerüchte verdichten sich, die Bischöfin wird zurücktreten. Es waren 1,54 Promille. Für uns Journalisten ist es einerseits das normale Geschäft: Meldungen schreiben, Kommentare, Radiointerviews geben, Bilder raussuchen. Aber ein bisschen ist es, als würden wir unsere eigene Trauerfeier vorbereiten. Als die chrismon-Redaktion in Frankfurt angetreten ist im Jahr 2005, wurde Margot Käßmann unsere Herausgeberin. Am Reformationstag 2006 haben wir uns im Konferenzraum zum Public Viewing zusammengesetzt – Käßmann machte den Fernsehgottesdienst, und sie machte ihn grandios. Wir waren stolz, unsere Herausgeberin. Heute, gut drei Jahre später, gucken wir im selben Raum auf Phoenix ihre Rücktrittsrede an. Keiner sagt was. Außer leise: Scheiße.

Donnerstag

Katerstimmung. Alle haben schlecht geschlafen, aber klar: Das Leben wird weitergehen. Ich bin froh, dass ich diese Woche nicht auch noch zwischen Köln und Frankfurt pendeln muss. Viel Arbeit, viel Redebedarf. Ich gehe abends in Frankfurt ins Kino, um mich abzulenken. "Up in the Air" mit George Clooney. Ein globaler Pendler, von Beruf professioneller Rausschmeißer, flirtet mit einer Business-Frau. Sie vergleichen in der Frequent Traveller Lounge ihre Meilenkarten: Welche ist größer? Meine Kollegin und ich überlegen nach dem Kino, ob sich unsere biederen Bahncards auch zum Anbaggern eignen. Es käme auf den Versuch an. Aber nicht heute Abend, falsche Stimmung.

Freitag

Der ICE hat mich wieder, ich fahre nach Köln und dann mit meinen Kindern an den Bodensee zu meiner Mutter. Am Kölner Hauptbahnhof steht ein gelber VW-Bus, "Notfallseelsorge". Was das ist, will Oskar, 10, wissen. "Das sind professionelle Tröster", erklärt ihm Leo, 12. Weißt du, wie bei Robert Enke, als die Käßmann alle getröstet hat. Kein gutes Thema, der Zug fährt gar nicht erst los, Streckensperrung, "Personen im Gleis". Ja, das ist jetzt wie bei Robert Enke, bloß ohne Gottesdienst. Eine traurige Woche geht zu Ende. Und nächste Woche ist eine neue Woche.


Über die Autorin:

 

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de

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