Afghanistan: Soldaten kritisieren Debatte in Deutschland
Bei einem Treffen mit dem Friedensbeauftragten der EKD, Renke Brahms, haben deutsche Bundeswehrsoldaten von ihren Sorgen und Nöten berichtet.
26.02.2010
Von Dieter Sell

Während im Bundestag turbulent über ein neues Mandat für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr gestritten wurde, verläuft das Gespräch in der Schwaneweder Lützow-Kaserne bei Bremen ruhig. Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, unterhält sich an diesem Freitag mit Afghanistan-erfahrenen Bundeswehr-Soldaten. "Hier bin ich Lernender und Hörender", schickt er vorweg. Später wird deutlich: Alle, mit denen er heute spricht, sehen einen Sinn im Afghanistan-Mandat und würden auch morgen wieder zum Einsatz am Hindukusch starten.

Die Soldaten gehören zum Sanitätsdienst des Kommandos Schnelle Einsatzkräfte, die im ostfriesischen Leer und in Schwanewede stationiert sind. Wenn Bundeswehr-Soldaten in Masar-i-Scharif, Kundus oder Faisabad verletzt werden, ist ihre Hilfe gefragt. "Wir sind die Speerspitze des Sanitätsdienstes", sagt der Schwaneweder Kommandeur und Oberfeldarzt Jürgen Meyer nicht ohne Stolz.

Ein großes Problem für die Soldaten sei die rechtliche Unsicherheit, erläutert der evangelische Militärpfarrer Andreas Wittkopf. Wer bei der Abwehr von Selbstmordattentätern einen Menschen erschieße, sei ohnehin schon schwer belastet, hat er bei seinem Seelsorge-Einsatz in Afghanistan erfahren. "Dazu gilt er vor dem Staatsanwalt in Deutschland noch als Beschuldigter."

Bloß nicht überstürzt raus aus Afghanistan

Die Männer und Frauen selbst sind begeistert von der Kameradschaft im Einsatz und kritisieren in erster Linie Nachschubprobleme und vor allem die Debatte in Deutschland. Überstürzt raus aus Afghanistan - das ist deshalb nicht nur für einen 34-jährigen Oberfeldwebel bei der Diskussion im Offizierskasino unvorstellbar. "Wir haben was angefangen und bringen es nicht zu Ende", gibt er Brahms auf den Weg, der in der öffentlichen Debatte bereits mehrfach einen konkreten Zeithorizont für einen endgültigen Abzug der Soldaten gefordert hatte.

"Sonst hinterlassen wir doch nur Chaos und überlassen die Menschen dort ihrem Schicksal", warnt der Mann. Brahms beschreibt sich auf Nachfragen als Anwalt der EKD-Friedensdenkschrift "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen". Der Vorrang des Zivilen sei die Leitlinie des Papieres. Die Denkschrift nenne militärische Mittel nur als zeitlich begrenzte Intervention, um Schutzräume für Verhandlungen und den Aufbau ziviler Strukturen zu schaffen, erläutert der leitende Bremer Geistliche.

Unterdessen verabschiedet der Bundestag in Berlin ein neues Mandat, nach dem bis zu 850 deutsche Soldaten zusätzlich nach Afghanistan entsandt werden, wobei 350 davon als flexible Reserve eingeplant sind. Die Entwicklungshilfe soll auf 430 Millionen Euro pro Jahr steigen und verdoppelt sich damit fast. Derzeit umfasst das deutsche Kontingent 4.500 Soldaten. Das Mandat ist auf zwölf Monate begrenzt. Brahms spricht sich in der Soldaten-Runde auch für ein ziviles Mandat aus, das der Bundestag formulieren sollte.

Kritik an Käßmanns Zitat

Ein Hauptmann, bereits fünf Mal im Auslandseinsatz, nimmt seinen Ball auf. "Soldaten können für ein wenig Sicherheit sorgen - 80 Prozent ist aber die Aufbauarbeit ziviler Organisationen", sagt der 44-Jährige und ergänzt: "Jedes Opfer ist eines zu viel. Wir müssen in Afghanistan viel mehr zivile Aufbauleistung einbringen."

Brahms bekommt auch Kritik zu hören. "Nichts ist gut in Afghanistan" - dieses Zitat aus der umstrittenen Neujahrspredigt der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann hat einige Soldaten besonders geärgert. Sie hätte sich zuvor vor Ort schlau machen müssen, kritisiert der Oberfeldwebel. Um die Situation in Afghanistan richtig beurteilen zu können, "muss man mal alle Sinne drin haben, muss das sehen, hören, schmecken, riechen".

Aufbaubeispiele, schwer kranke Kinder, denen die Sanitäter das Leben retten konnten - das sind Bilder, die die Schwaneweder für den nächsten Einsatz motivieren. "Mich hat beeindruckt, wie sehr die Soldaten einen Sinn in ihrem Mandat sehen", bilanziert am Ende Brahms, der auch Vorsitzender des EKD-Beirates für die Seelsorge in der Bundeswehr ist. Für ihn ist nun klar: "Gespräche wie dieses müssen mehr geführt werden, um die Soldaten zu verstehen."

epd