TV-Tipp des Tages: "Intime Fremde" (WDR)
Seine Wohnung hat William in den letzten vierzig Jahren kaum verlassen: Dort ist er geboren, dort lebt und arbeitet er, und irgendwann wäre er dort wohl auch gestorben. Wäre da nicht die hübsche Anna.
26.02.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Intime Fremde", 26. Februar, 23.15 Uhr im WDR

Patrice Leconte pflegt in seinen Filmen die seltsamsten Paare zu kombinieren. In "Die Verlobung des Monsieur Hire" (1989) zum Beispiel entbrennt ein wunderlicher und nicht eben hübscher Eigenbrötler in inniger Zuneigung zu einer schönen jungen Frau, die er allabendlich beobachtet. Ein ganz ähnlicher Einsiedler ist William (Fabrice Luchini). Von Berufs wegen hat er zwar Publikumsverkehr, tagsüber geht ihm zudem eine Sekretärin zur Hand, doch seine Wohnung hat er in den letzten vierzig Jahren kaum verlassen: Dort ist er geboren, dort lebt und arbeitet er, und irgendwann wäre er dort wohl auch gestorben.

Unverhofftes Glück

Eines Tages aber steht eine Prinzessin vor seiner Tür, die ihn aus seinem Wohlstandsschlaf weckt. Die hübsche Frau, Anna (Sandrine Bonnaire, die auch schon Monsieur Hire den Kopf verdrehte), braucht Hilfe, professionelle Hilfe; deshalb ist sie zum einem Psychotherapeuten gegangen. Da ist sie bei William allerdings an der falschen Adresse. Der ist zwar auch Berater, jedoch in Steuerfragen; die Praxis des Psychiaters ist eine Tür weiter. Weil William sein unverhofftes Glück gar nicht fassen kann, kommt er nicht dazu, der Dame die Wahrheit zu sagen; selbst dann nicht, als sie ihn zum zweiten Mal aufsucht.

Mit Sandrine Bonnaire

So schön es ist, zu beobachten, wie William immer mehr hin und weg ist: Alle Kraft geht in diesem Film von der Frau aus, die sein Herz erobert. Sandrine Bonnaire, auch gut zwanzig Jahre nach ihrem Kinodebüt ("Auf das, was wir lieben", 1983) immer noch jung und schön, treibt den Mann mit vermeintlich beiläufigen Gesten immer mehr in die emotionale Enge. Von Mal zu Mal taut sie zunehmend auf und findet zu sich selbst; auch dann, als sie längst herausgefunden hat, was Williams wirkliche Profession ist. Doch als der Steuerberater schließlich bereit ist, sein Schneckenhaus für sie zu verlassen, verschwindet sie aus seinem Leben.

Emotionaler Thriller

Da "Intime Fremde" über weite Strecken ein Kammerspiel ist, steht und fällt die Qualität des Films zwangsläufig mit den Darstellern. Überraschender und imponierender noch als die Leistung Sandrine Bonnaires ist Fabrice Luchini, denn der ist eigentlich vorzugsweise Komödiant. Leconte aber legt seine mitunter durchaus melodramatische Romanze als emotionalen Thriller an. Die Verbeugungen vor Alfred Hitchcock sind nicht zu übersehen.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).