Konfessionskunde mit dem Kirchkaffee
"Gezellig" trinken die holländischen Reformierten nach dem Gottesdienst ihren Kaffee – in der Kirche. Ein Plausch bei einem Caffè Latte oder einem Espresso: Undenkbar für italienische Katholiken!
24.02.2010
Von Burkhard Weitz

Der Pfarrer hat den Segen gesprochen. Die ersten Gottesdienstbesucher streben Richtung Ausgang. Dort, im hinteren Teil der Amsterdamer Backsteinkirche, verströmt ein Kaffeespender seinen Duft: ein großer Thermosbehälter mit Hebel. Das helle Geräusch von Flüssigkeit, die in kleine, schmale Gefäße sprudelt, das Knistern von Plastikbechern zwischen lebhaften Gesprächen: "Wat leuk", sagen die Leute, zu Deutsch: "Wie schön." Oder: "prachtig" ("wunderbar"). Oder: "gezellig" ("gemütlich").

"Gemütlich Kaffee trinken" ist angesagt

Ältere Herren in feinem Zwirn zücken Blättchen und Shag (Tabak) und drehen Zigaretten. Unter dem Renaissancegewölbe aus Backstein darf geraucht werden. Es ist schließlich eine reformierte Kirche, gestandene Calvinisten versammeln sich hier. Sind Bibellese, Predigt und das letzte Lied zum Preise der Ehre Gottes verklungen, haftet dem Ort nichts Heiliges mehr an. So sehen es jedenfalls die niederländischen Reformierten.

Und sie praktizieren es auch so. "Gezellig koffie drinken" ("gemütlich Kaffee trinken") ist angesagt – wenn auch im Stehen. Kaffee mit dem Fair-Trade-Siegel der Max-Havelaar-Stiftung muss es sein. Ihren Namen verdankt die Stiftung einer gleichnamigen Romanfigur, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts die Verfehlungen der niederländischen Kolonialpolitik anprangerte. Gewissenhafte calvinistische Kaffeekunden wissen die herbe Gesellschaftskritik des Romans zu schätzen. Das Gemäuer ist ihnen nicht unbedingt heilig – aber das Leben.

„Geht hin, es ist Aussendung“

Mit dem Kirchkaffee lässt sich Konfessionskunde treiben. Kaum vorstellbar, dass in Italien eine barocke katholische Kirche mit Kaffeeduft und Zigarettenqualm entweiht würde. Dort signalisiert der Wohlgeruch des Weihrauchs noch lange nach der Messe, dass das Heilige keinesfalls mit dem Priester den Raum verlassen hat. Vorne brennt das ewige Licht, im Tabernakel liegt die gewandelte Hostie aus: wahrhaftiger Leib Christi.

Wie könnte da ein gläubiger Katholik, quasi im Angesicht des fleischgewordenen Gottes, aus einer Tasse – oder gar einem Plastikbecher – Cappuccino schlürfen? Mehr noch: Der Priester hat das letzte Wort der Messe gesagt, "Ite, missa est" (zu Deutsch: "Geht hin, es ist Aussendung"). Ein Plausch bei einem Caffè Latte oder einem Espresso, eine Art Zusammenrottung von Laien zwecks Nachbesprechung der Messe, wäre für richtige Katholiken vollkommen undenkbar!

Kirchkaffee-Kultur in Deutschland

In Sachen Kirchkaffee ist in Deutschland die Kultur der Lutheraner bestimmend. So bestimmend, dass ihnen die hiesigen Katholiken den Brauch manchmal sogar nachahmen. Lutheraner nehmen wie in vielen anderen konfessionellen Fragen auch in dieser Angelegenheit eine Zwischenposition ein. Für sie ist die Kirche nicht geweiht wie bei Katholiken. Weihrauch? Igitt, angeblich beißt der in der Nase und macht rammdösig. Dann schon lieber Kaffeeduft. Das Tabernakel gibt es bei Lutheranern auch nicht. Geweihte Hostien gelten ihnen als Budenzauber, damit will man nichts zu tun haben.

Im Prinzip wäre es kein Problem, im Kirchenschiff an einer Tasse Kaffee zu nippen. Allerdings, so ganz wohl wäre dem Lutheraner auch nicht, wenn man das Kircheninnere derart profanisieren würde. Dort muss nach dem Gottesdienst andächtige Stille herrschen, damit ein jeder seiner innerlichen Frömmigkeit nachspüren kann. Zumindest theoretisch.

In der Realität schließt der Küster gleich nach dem Gottesdienst die Kirchtür ab. Wer jetzt nicht dringend zur Zubereitung von Sonntagsbraten, Kartoffeln und Gemüse nach Hause eilt, weicht in den Gemeindesaal aus, schreitet über den staubig sandigen PVC-Fußboden und setzt sich an einen Resopaltisch auf einen unbequemen Holzstuhl. Er starrt vorbei an dicken Stoffvorhängen und pflegeleichten Kakteen hinaus in die verregnete Außenwelt. Und er zieht im wohlig geheizten Innern des Gemeindehauses tief den Duft von deutschem Filterkaffee in die Nase. Dazu gibt es Dosenmilch und den Inhalt einer Mischpackung Spritzgebäck aus dem Supermarkt. Frau Meyer erzählt von ihrer Arthrose, Frau Schulze hat Post von der Tochter in Amerika. Herrlich! Es ist zehn nach elf. Der Sonntag kann beginnen.


Burkhard Weitz ist leitender Redakteur bei chrismon. Sein Text ist in dem Buch "Cafe Wunderbar" erschienen. Die gleichnamige Aktion ist ein gemeinsames Projekt von chrismon und der Gepa, die sich seit über 30 Jahren für fairen Handel engagiert.