Wer Vorbilder sucht, lässt sie auch wieder fallen
Alkohol am Steuer: Mit ihrer Autofahrt vom Samstagabend hat Margot Käßmann viel Sympathie eingebüßt. Doch dass sie zuvor in eine Vorbildrolle gedrängt wurde, hat sie nicht zu verantworten. Theologische Gedanken zu einem schwierigen Fall.
23.02.2010
Von Bernd Buchner

Die Nachricht, dass Landesbischöfin Margot Käßmann unter Alkoholeinfluss hinter dem Steuer saß, hat einen Schock ausgelöst. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat sich durch ihren Lebensweg und ihre frische, unverkrampfte Art eine öffentliche Rolle erworben, die sie für viele zum Vorbild werden ließ – nicht nur unter protestantischen Christen. Nun gerät diese Stilisierung ins Wanken, und es bleibt ein Mensch mit Fehlern und einem, zugegegeben, gewaltigen Fehltritt.

Margot Käßmann ist Theologin, und deshalb ist es gerade an diesem Punkt Zeit für einige theologische Gedanken. In der evangelischen Kirche erhält ein Bischof, anders als im Katholizismus, keine eigene Weihe, sondern ist ein mit besonderen Aufgaben betrauter Pfarrer. Ein Pfarrer verspricht in der Ordination, seinen Lebenswandel so zu führen, dass dadurch seine Verkündigung nicht unglaubwürdig wird. Klar ist nach protestantischem Verständnis aber auch, dass kein Mensch ein "sündloses" Leben führen kann.

Menschen hätten verletzt werden können

Eine Alkoholfahrt ist verantwortungslos, schließlich hätten Menschen verletzt werden können. Doch unglaubwürdig wird das, was die Bischöfin von der Kanzel herab oder im seelsorglichen Gespräch sagt, dadurch nicht. Ihre Verkündigung ist nicht beeinträchtigt, auch wenn ihr öffentliches Ansehen vorübergehend Schaden nimmt. Christenmenschen sind nach evangelischem Verständnis keine besseren Menschen – sie sind Sünder wie jeder andere auch. Luther ruft überspitzt sogar zur Sünde auf ("pecca fortiter!"), damit die Gnade umso größer leuchtet. Als einen Freibrief zum Sündigen darf man das natürlich nicht verstehen, sondern als Ausdruck eines Wissens darum, dass alle Menschen fehlbar sind.

Auch jeglicher Personenkult, wie er in manchem einstigen Käßmann-Loblied durchklang, war Luther verhasst – gegen die Bezeichnung "Lutheraner" wandte er sich mit denkbar harschen Worten: "Wie käme denn ich armer stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi mit meinem heillosen Namen nennen sollte?" Dem geistlichen Stand gebührt nach Überzeugung des Reformators kein besonderer Vorbildcharakter, sondern gerade die "Magd" kann den Gläubigen als Beispiel für ein besonders gottgefälliges Leben dienen.

Alle Gläubigen sind Priester

Als "Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt", bezeichnet die Barmer Theologische Erklärung von 1934 die evangelische Kirche und ruft damit das von den Reformatoren postulierte Priestertum aller Gläubigen in Erinnerung. Der Dienst ist allen anvertraut, die verschiedenen Ämter begründen keine Herrschaft der einen über die anderen – und eben auch keine Stilisierung zum Vorbild. Eine "Kirche der Freiheit" ist sich selbst Vorbild genug.

Davon unberührt bleibt, dass die Mediengesellschaft Personalisierung verlangt – und dass die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen hier im Vergleich zum papstzentrierten Katholizismus im Hintertreffen sind. Notgedrungen legt deshalb auch die evangelische Öffentlichkeitsarbeit den Fokus stark auf die Bischöfe. In einigen reformierten und unierten Landeskirchen drücken Titel wie Präses oder Schriftführer aus, dass es bei der Kirchenleitung lediglich um den Vorsitz einer Synode geht, also eines demokratisch verfassten Kirchenparlaments.

Gefängnisinsasse Paulus

Gleichwohl bleiben die Anforderungen an das Bischofsamt, wie sie Paulus im ersten Timotheusbrief formuliert: "Wenn jemand ein Bischofsamt begehrt, der begehrt eine hohe Aufgabe", heißt es da. Er solle "nüchtern, maßvoll, würdig" sein und "kein Säufer". Ähnliche Anforderungen finden wir im Neuen Testament auch an alle Christen gerichtet. Margot Käßmann hatte am Samstagabend zu viel getrunken. Das war nicht vorbildlich. Im Gefängnis wird die Bischöfin hoffentlich nicht landen. Und wenn doch: Da saß Paulus auch schon, und nicht zum Schaden der Kirche. 


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und für die Ressorts Religion und Umwelt verantwortlich.