"Mit neuem Mut" ist in Deutschland das Motto des Europäischen Jahres zur Begrenzung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Schirmherrin hätte eigentlich Margot Käßmann sein sollen, die nun zurückgetretene EKD-Ratsvorsitzende. "Armut und Ausgrenzung sind eng verbunden und beschädigen das Selbstwertgefühl der Betroffenen", hatte die Theologin vergangene Woche noch mit Blick auf die Kampagne gesagt. Außer ihr fungieren zehn Prominente als Botschafter, darunter der Schauspieler Dieter Pfaff, Krimi-Autor Felix Huby, TV-Moderator Reinhold Beckmann oder die Fußballerin Lira Bajramaj.
Seinen ganz persönlichen Kampf gegen Armut nahm Reinhold Beckmann vor über zehn Jahren auf. 1999 gegründete der Moderator mit Freunden in Hamburg die Stiftung "Nestwerk e.V.", in deren Vorstand er sich seither engagiert. "Nestwerk" kümmert sich um benachteiligte Jugendliche in den strukturschwachen Stadtteilen der Hansestadt. Zudem ist Beckmann der Kopf hinter dem "Tag der Legenden", bei dem seit 2005 ehemalige Fußballstars in einem Benefizspiel gegeneinander antreten, und deren Erlöse an "Nestwerk" fließen.
"Wir müssen was tun"
Beckmann: "Unser Ziel ist es, Jugendliche, besonders in sozial schwachen Stadtteilen, durch den Sport an das Leben und seine Herausforderungen heranzuführen." Dieter Pfaff, einer der zehn Botschafter des EU-Jahres, fördert "Nestwerk". Seine Begründung: Armut gebe es auch im reichen Hamburg, "da muss man nur in die entsprechenden Stadtteile fahren. Gewalt und Drogen bestimmten da den Alltag der Jugendlichen." Der Verein "holt mit seinen Angeboten die Jugendlichen von der Straße", lobt der gewichtige Mime. Benachteiligte "brauchen mehr Chancen. Das heißt, wir müssen was tun", fordert Pfaff in einer Videobotschaft.
Das nationale Kampagnenjahr wird an diesem Donnerstag in Berlin von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) offiziell eröffnet. Ziel ist es, über eine intensive Öffentlichkeitsarbeit mehr Interesse an der Lage Notleidender zu wecken. Außerdem werden 40 ausgewählte Projekte, die als "Leuchttürme gegen Armut" Vorbildcharakter haben können, vom Arbeitsministerium finanziell gefördert. 1,4 Millionen Euro stehen dafür bereit.
Bernd Siggelkow, evangelischer Pastor in Berlin sowie Gründer und Leiter von "Die Arche - Christliches Kinder- und Jugendwerk e.V.", will als Botschafter den "vielen Vorurteilen gegen Arme in diesem Land begegnen". Man könne gar nicht oft genug wiederholen, dass die Eltern von 2,5 Millionen bedürftigen Kindern nicht selbst schuld seien an ihrer Lage, sagte Siggelkow. Deutschland sei zwar ein Wohlstandsland, doch werde die Tatsache der wachsenden Armut auch von der Politik noch oft verdrängt: "Wir müssen die Menschen zum Umdenken bewegen."
Ausgrenzung und soziale Spaltung
Jutta Allmendinger, Soziologie-Professorin und Leiterin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, warnt als Botschafterin eindringlich vor den Folgen von Ausgrenzung und sozialer Spaltung. Viele, vor allem männliche Jugendliche in Deutschland, hätten bereits kognitive, emotionale und soziale Defizite, "die nicht angeboren sind". An diesen Mängeln sei die Gesellschaft schuld, "weil sie nichts dagegen getan hat", beklagt die Bildungsforscherin. Die EU-Kampagne sei "extrem wichtig", weil sie Aufmerksamkeit schaffe.
Das sieht auch Käßmann so. Die Gesellschaft müsse Wege finden, wie besonders Kinder faire Startchancen für ihren Weg ins Leben bekommen: "Ich wünsche mir, dass wir in einer solidarischen Gesellschaft Chancengerechtigkeit für alle erreichen." Dazu, so Autor und Botschafter Felix Huby, müsse man genauer auf die Not anderer Menschen schauen: "Das sollten wir üben im EU-Jahr gegen Armut und Ausgrenzung."