"Hände waschen!" lautet die klare Ansage in großer schwarzer Schrift. Das DIN-A4-Blatt hinter der Glasscheibe der Eingangstür im Darmstädter "Gemeinschaftshaus Pallaswiesenviertel" lässt keinen Zweifel zu, dass das Gebäude auch von Kindern genutzt wird. Sie kommen zum Spielen, zur Hausaufgabenhilfe oder zum regelmäßigen Mittagessen. Caritas und Diakonie bieten den Bewohnern des freudlosen Quartiers seit 20 Jahren "Hilfen unter einem Dach". Auf der Basis dieser Gemeinwesenarbeit soll nun ein breiteres Netz der Hilfen für Benachteiligte in ganz Darmstadt entstehen, ermöglicht durch die finanzielle Förderung im Rahmen des "EU-Jahres gegen Armut und soziale Ausgrenzung".
"Nicht für, sondern mit den Menschen"
"Wir helfen den Leuten bei der Lebensbewältigung", sagt Horst Miltenberger. Wer dem Blick des Sozialarbeiters durchs Fenster folgt, ahnt, wie bitter nötig das ist. Das Pallaswiesenviertel im Nordwesten der Stadt sei eine "Insel der Armut" seit fast 100 Jahren. Miltenberger, ein kräftiger Mann mit blondiertem Schopf, leitet die Einrichtung inmitten von ärmlichen Reihenhäuschen, Industriebetrieben und Großhandelsfirmen seit zehn Jahren: "Wir arbeiten nicht für, sondern mit den Menschen", betont er den aktivierenden Ansatz. 2.500 Menschen leben im Viertel, darunter auch sehr viele Migranten.
Nebenan im Gruppenraum im zweiten Stock kreischen zwei kleine Mädchen und sausen auf der Suche nach Spielzeug über den Flur. Das "Internationale Frühstück", ein Kreis von Frauen mit Kindern aus aller Herren Länder, ist alle 14 Tage zu Gast. Serpil Özgen leitet das Treffen. "Wir geben Frauen Gelegenheit, sich auszutauschen", sagt die Türkin. Vor allem Musliminnen kämen sonst kaum unter die Leute, weil sie Probleme mit der deutschen Sprache hätten.
Zu den Treffen kommen Frauen aus der Türkei, Marokko, Afghanistan oder den Balkanstaaten, berichtet die ehrenamtliche Leiterin. Beim gemeinsamen Frühstück öffneten sich die Teilnehmerinnen auch für die deutsche Sprache: "Bei jedem Essen lernen sie einige Wörter dazu." Das, so Özgen, sei ein wichtiger Beitrag, um die Isolation im Viertel zu überwinden. Oder, wie Helga Benner, eine ehemalige Schulleiterin formuliert: "Die Frauen können sich selbst nach oben heben."
"Leuchttürme gegen Armut und Ausgrenzung"
Eröffnet wird der deutsche EU-Kampagnenbeitrag am Donnerstag in Berlin. Bundesweit gingen über 840 Antragsteller ins Rennen um die begehrten Fördermittel in Höhe von 1,4 Millionen Euro, doch die meisten gingen leer aus. Die ausgewählten 40 Initiativen seien "echte Leuchttürme gegen Armut und Ausgrenzung", die mit ganz unterschiedlichen Ansätzen ans Werk gingen, lobte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). So vermittelt etwa der Internationale Bund Leipzig Patenschaften für Kinder aus armen Familien. Die "Träger sozialer Einrichtungen Halle gGmbH" hat sich die Alphabetisierung Erwachsener zur Aufgabe gemacht hat und das Christliche Jugendwerk Garz, begleitet mit Streetworker benachteiligte Jugendliche in den Job.
Horst Miltenberger sieht in der Auswahl seines Projektes nicht nur eine Auszeichnung der von Caritas und Diakonie getragenen Gemeinwesenarbeit, sondern die große Chance, mit Hilfe der Fördergelder von rund 40.000 Euro ein umfassendes Konzept zur städtischen Armutsprävention zu entwickeln. Für den benötigten Gesamtetat müssen die Träger noch 18.000 Euro draufzahlen.
Weit verzweigtes Hilfenetz entwickeln
Bürger und Fachleute aus Schule, Jugendhilfe, Politik, Behörden und Vereinen können nun ein weit verzweigtes Hilfenetz entwickeln. Am Ende dieses Jahres soll dann der Magistrat der Stadt Darmstadt über das fertige Konzept beraten und "es sich möglichst zu eigen machen". Diesen Ansatz kann man "auf jede Kommunen dieser Größenordnung übertragen", ist der Armutsexperte überzeugt.
Die Projektleitung soll eine externe Fachkraft übernehmen: "Die Stelle schreiben wir gerade aus", so der Einrichtungsleiter. Im April finde ein Fachtag als Auftaktveranstaltung statt, bei der sich dann erste Gruppen zur vertiefenden Arbeit an dem Konzept zusammenfinden sollen. Ganz bei Null müssen die Mistreiter für das stadtweite Bündnis übrigens nicht beginnen: In Darmstadt gibt es bereits zwei weitere Standorte der Gemeinwesenarbeit in anderen Problemvierteln.