TV-Tipp des Tages: "Alle meine Lieben" (NDR)
Sonja Spitz (Jutta Speidel) wird unentwegt daran gehindert, ihre Freiheit zu genießen. Geschickt lässt Regisseur Olaf Kreinsen den Druck wachsen. Man wartet geradezu darauf, dass ihr endlich der Kragen platzt.
22.02.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Alle meine Lieben", 25. Februar, 21.45 Uhr im NDR

Es wäre auch zu schön gewesen: Kaum hat Sonja Spitz ihren Jüngsten zum Schüleraustausch nach Amerika verabschiedet, wird sie unentwegt daran gehindert, endlich ihre Freiheit zu genießen. Mal klingelt’s an der Haustür, mal das Telefon, aber immer die Familie: Erst kehrt Tochter Renate (Julia Heinze) reumütig nach Hause zurück, weil ihr reicher Freund sie vor die Tür gesetzt hat. Als nächstes muss Sonja ihren Sohn Bernhard (Achim Schelhas) aus dem Gefängnis holen; der junge Künstler hat sich verspekuliert und kann seine Schulden nicht bezahlen. Dann steht plötzlich auch Lukas (Elias Pressler) wieder vor der Tür, weil er es vor lauter Sehnsucht nach seiner Freundin in Amerika nicht ausgehalten hat. Und wie zum Hohn setzt das Drehbuch (Werner Sallmeier) der Geschichte noch die Krone auf, denn als Letzter begehrt auch Willi (Heinz Hoenig) Einlass. Der ist Sonjas Ex-Gatte und Vater der gemeinsamen Kinder. Das Paar hatte sich getrennt, weil Willi das Zocken nicht lassen konnte: Er bekam das Ferienhaus auf Mallorca, sie das Feinkostgeschäft mit angeschlossenem Restaurant. Willi, man ahnt es, hat seinen Anteil am ehelichen Vermächtnis verspielt, kommt aber nicht mit leeren Händen: Er hat eine fünfjährige Tochter dabei und bittet um Gnade. Kein Wunder, dass Sonjas neuer Freund Michele (Speidels Lebensgefährte Bruno Maccalini) keine Lust mehr hat, bei dem Getümmel im "Hotel Mama" ständig zu kurz zu kommen.

Familienkomödie mit viel Sympathie für die Hauptfigur

Olaf Kreinsen, der mit Speidel und Maccalini schon "Das schönste Geschenk meines Lebens" gedreht hat, inszeniert die Geschichte als hübsche Familienkomödie und mit viel Sympathie für die Hauptfigur. Geschickt lässt er den Druck stetig wachsen, bis man geradezu darauf wartet, dass Sonja endlich der Kragen platzt. Während Maccalini insgesamt etwas hüftsteif agiert, ist die Hauptfigur die perfekte Rolle für Speidel: Sonja Spitz ist eine emanzipierte Geschäftsfrau, die nach einem Leben für die Familie endlich auch mal an sich denkt. Um sowohl eine Steuernachzahlung wie auch die Schulden ihres Sohnes begleichen zu können, muss sie sich allerdings zumindest von ihrem Restaurant trennen, und nun kommt Otto König ins Spiel. August Schmölzer spielt diesen offenkundig halbseidenen Barbesitzer, der schon lange spitz auf die Spitz und vor allem auf ihr Lokal ist, ganz wunderbar als Möchtegern-Ganoven. Trotzdem gelingt es ihm, dem Kiezkönig hinter der protzigen Fassade des leicht schmierigen Gentlemans eine gewisse Herzlichkeit zu verleihen, so dass man durchaus Sympathie für diese Figur empfindet. Gleiches gilt für Hoenig und den völlig verkrachten Willi, nicht aber für Gisela, die sich gern als Sonjas Freundin aufspielt, in Wirklichkeit aber bloß immer zum Schnorren kommt: Ulrike Beimpold spielt diese typisch neureiche Schickeria-Figur derart konsequent als Nervensäge, dass man Gisela schon nach wenigen Auftritten von Herzen hasst.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).