Facebook adé: "Habe der Welt nicht alles mitzuteilen"
Der Abschied vom sozialen Netzwerk: Die ersten Aussteiger machen ihren Bruch mit Facebook und Co. im Netz öffentlich. Es geht ihnen vor allem um die verlorene Zeit für echte Freunde. Ein Trend mit Zukunft?
19.02.2010
Von Miriam Bunjes

Die meisten fassen sich kurz. Ernst Wiemann ist am 7. 2. 2010 aus Facebook ausgestiegen, weil: "kein Interesse". Einen Tag vorher hat Michael H. den gleichen Entschluss gefasst, weil: "Zu viel Aufwand für zu wenig Ertrag. Bin kein Seelen-Exhibitionist und habe der Welt nicht alles mitzuteilen. Freunden hingegen schon." Iwert Albert steigt aus, "weil ich kein gläserner Mensch werden will", Peter H. wegen des "höchsten Zeitaufwands durch überflüssige Mails, Texte und Bilder", Waltraut Horvath hat keinen Spaß daran, "vor künstlichen unsichtbaren Freunden mein Privatleben auszubreiten."

Sie alle schreiben au auf der Internetseite "ausgestiegen.com", verfassen dort eine Abschiedsmeldung - und verschwinden aus einer der dominantesten Öffentlichkeiten im Netz:  16 Millionen Deutsche nutzen derzeit ein soziales Netzwerk der VZ-Gruppe (SchülerVZ, meinVZ oder StudiVZ). Facebook zählt etwa elf Millionen deutsche Nutzer, weltweit sollen es 350 Millionen sein.

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Wie viele davon ihr Profil wirklich nutzen, geben die Unternehmen nicht an. Dennoch: Die Zahlen sind gigantisch. Die Stimmen der knapp 1.000 öffentlich Abtrünnigen sind dagegen Einzelmeinungen - oder der Beginn eines Stimmungswechsels. "Freunde treffen statt Freunde adden (deutsch: hinzufügen)" ist das Motto der Seite. Das kann man auch auf einem T-Shirt oder eine Kochschürze gedruckt bestellen. Auf "ausgestiegen.com" wird auch erklärt, wie man es schafft, sich tatsächlich aus den Netzwerken abzumelden und seine persönlichen Daten in Sicherheit zu bringen. Dafür reicht es nämlich nicht, einfach die Konten zu deaktivieren. Wer seine Daten gelöscht haben will, muss an die Facebookverwaltung schreiben. Vor allem aber kann man auf "ausgestiegen.com" der Welt seine persönliche Statusmeldung zeigen: Für mich war es das mit den Netz-Netzwerken.

Gestrig oder postmodern?

Ob das gestrig ist oder postmodern weiß Seitenbetreiber Dieter Willinger selbst nicht so genau. Denn eigentlich war das Ganze ein Scherz. Und zwar ein ganz privater. "Ich hatte gerade wieder meine Zeit auf Facebook verdaddelt und war schwer genervt von der Unkreativität und Sinnentleertheit", sagt der 32-jährige Österreicher.  Und weil er selbst vom Fach ist, bauten der Webprojektmananger und ein befreundeter Webdesigner fix eine Aussteiger-Seite im Facebook-Look.

"Die füllte sich sehr schnell mit Aussteiger-Meldungen. Da hatte ich gar nicht mit gerechnet", sagt Willinger. Die Meldungen haben ihn nachdenklich gemacht. "Was mich selbst am meisten an den Netzwerken stört, ist die fehlende Datensicherheit", sagt er. "Was passiert mit den Nutzerdaten, wenn man das Netzwerk verlässt? Werden sie wirklich komplett gelöscht? Darüber hüllen sich die Unternehmen in Schweigen."

Den meisten Aussteigern geht es aber um die vertane Lebenszeit und darum, was echte Freundschaft ist. "Soziale Netzwerke im Internet haben offenbar schon die Art und Weise verändert, wie Menschen Freundschaft sehen und mit ihr umgehen - und das ist für viele ein Problem", sagt Willinger. "Ich glaube, dass es in einigen Jahren kreativere Formen der Kommunikation im Netz geben wird und die sozialen Netzwerke ein Auslaufmodell sein werden - auch wegen der Freundschaftsfrage."

Weniger soziale Netzwerke?

Ingrid Paus-Hasebrink, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Salzburg, ist da vorsichtiger: "Ich gehe davon aus, dass soziale Netzwerke in den nächsten Jahren tendenziell etwas zurückgehen, aber nicht grundsätzlich an Bedeutung verlieren." Netzwerken sei ein zentraler Bestandteil der Gesellschaft. "Wer nicht vernetzt ist, im beruflichen oder im privaten Alltag, den scheint es fast gar nicht zu geben", sagt die Professorin, die vor kurzem eine Studie zum "Heranwachsen mit dem Social Web" abgeschlossen hat.

Die Menschen gingen aber immer kritischer mit Facebook und Co. um - und das wird weiter zunehmen, glaubt sie. "Schon jetzt wissen die jungen Leute sehr wohl zwischen den vielen Freunden im Netz und den echten im realen Leben zu unterscheiden", hat sie bei ihrer Studie herausgefunden. Und auch, dass diese Kompetenz vom Bildungsgrad abhängt. Jugendliche mit formal niedriger Bildung legen mehr Wert darauf, von vielen als Freund geaddet zu werden. Mit Begriffen wie "Sucht" geht sie aber vorsichtig um. "Es gibt Nutzer, denen das Social Web ein Lebens-Mittel geworden ist." Das seien aber vor allem junge Menschen, die auch im realen Leben Probleme mit Beziehungen hätten. Ein viel größeres soziales Problem sei der Umgang mit persönlichen Informationen. "Da unterschätzen viele die Reichweite und dass ein späterer Chef im Netz alles Mögliche nachlesen kann", sagt Paus-Hasebrink. "Die Netzwerke werden eben vor allem freundschaftsbezogen genutzt." Und beim privaten Beziehungsmanagement werde dann leicht vergessen, dass es ja trotzdem öffentlich stattfindet.

Komplett sinnlos?

Oder komplett sinnlos ist. Wie bei Diana aus Mülheim an der Ruhr - eine weitere Aussteigerin von Facebook. "Ich finde es unangenehm, Freundschaftsanfragen zurückzuweisen", sagt die 25-jährige Studentin. "Vor kurzem hat dann ein Kommilitone angefragt, den ich einfach nicht mochte. Und ich hab viel Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken, wie ich mich jetzt verhalten soll, schließlich sehe ich ihn ja auch im wahren Leben. Schluss machen mit Facebook, das war der erste Gedanke. Als ich das im realen Leben sagte, wurde regelrecht Druck auf mich ausgeübt", erzählt sie. "Dann weißt du ja gar nicht mehr was los ist und gehörst gar nicht mehr richtig dazu. Das hat mir Angst gemacht."

Sie löscht also ihr Foto und legt sich einen neuen Usernamen zu. "Dann war ich nur mit meinen engsten Freunden vernetzt. Denen begegne ich aber sowieso regelmäßig - unser Netzwerkkontakt ist also pure Zeitverschwendung." Deshalb hat sie jetzt doch richtig Schluss gemacht - und keine echten Freunde dabei verloren.

Richtig im Trend

Und vielleicht liegt sie damit doch im Trend: US-amerikanische Meinungsforscher der Firma iStrategyLab haben beobachtet, dass trotz stetig steigender Benutzerzahlen 20 Prozent der jüngeren User gar nicht mehr im Netzwerk aktiv sind. "Die Hypezeiten sind vorbei, bald kommt etwas Neues", meint auch Dieter Willinger. Für Phillip Gröschel, Jugendschutzbeauftragter der VZ-Netzwerke, gibt es nur einen Trend bei den Netzwerken in Deutschland: Einen Aufwärtstrend. "Schon seit der Gründung von StudiVZ gibt es Aussteiger", sagt er. "Dafür gibt es kontinuierlich steigende Neuanmeldungen." Migration sei Teil des Social Webs. Auch einen Unterschied zwischen einer offline und einer VZ-Freundschaft sieht er nicht. Soziale Netzwerke seien im Gegenteil "ein Garant für mehr Zwischenmenschlichkeit".

Deshalb muss auch wohl auch das Schlussmachen wehtun. Wer sein Facebook-Konto deaktiviert, sieht seinen Freunden noch einmal ins Profilfotogesicht. "Deine 130 Freunde können dann nicht mehr mit dir in Kontakt bleiben", steht da. Und dann: "Sonja wird dich vermissen" und "Paul wird dich vermissen". Aber vielleicht trifft man sich ja morgen wieder im Büroflur.


Miriam Bunjes ist freie Journalistin und arbeitet in Dortmund.