Neues Predigtzentrum: "Lust an der Predigt stärken"
Das neue Zentrum für evangelische Predigtkultur der Evangelischen Kirche in Deutschland in Wittenberg will die "Lust auf Predigt" stärken. Leiter Alexander Deeg verrät im Interview, welche Fehler manche Prediger machen, wie eine gute und spannende Predigt aussehen könnte und welchen Schatz die Bibel an brennenden und aktuellen Erkenntnissen bereithält.
19.02.2010
Von Henrik Schmitz

evangelisch.de: Seit Oktober leiten Sie das neue Zentrum für evangelische Predigtkultur der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ist die Predigtkultur so bedroht, dass man ihr nun ein Zentrum widmet?

Alexander Deeg: Wir haben Schätze von Predigtbegabungen in unserer Kirche. Eine Million Menschen hören jeden Sonntag live eine Predigt, und viele Menschen geben in Umfragen an, sie gehen wegen der Predigt in die Kirche. Aber schon Luther hat erfahren, dass Predigt nicht nur Welten bewegen kann, sondern auch manchmal wirkungslos ist. Das ging bei ihm so weit, dass er 1530 in einen mehrmonatigen Predigtstreik getreten ist, weil er gesagt hat: "Es bringt ja doch nichts." Ich denke, diese Erfahrung machen Prediger nach wie vor. Unser Zentrum möchte den Mutlosen Mut machen und die Lust an der Predigt weiter stärken, die ja seit 500 Jahren ein Markenzeichen des Protestantismus ist. Übrigens nicht nur bei den Predigern selbst, sondern auch bei denen, die die Predigt hören.

Erwartbare Redewendungen

evangelisch.de: Viele Menschen langweilen sich bei den sonntäglichen Predigten. Sie sind mit ihren Gedanken schnell woanders und wissen nach dem Gottesdienst schon gar nicht mehr, worum es eigentlich ging. Wie könnte es denn gelingen, Predigten fesselnder zu gestalten?

Deeg: Uns haben Umfragen gezeigt, dass viele Menschen Predigten tatsächlich langweilig und leider oft auch belanglos finden. Daran müssen wir arbeiten, ich nehme mich da selbst nicht aus. Ein Problem ist sicher, dass evangelische Predigten manchmal so erwartbar sind. Es geht um die Gnade, den lieben Gott und so weiter. Das geht so weit, dass ganze Redewendungen und sogar der Tonfall der Predigt erwartbar sind. Der Schriftsteller Dieter Wellershoff hat uns geschrieben, er habe durch verschiedene Radioprogramme geschaltet, und es hätten ihm jeweils 20 Sekunden gereicht, um zu hören: "Hier wird gepredigt." Es wäre schon viel erreicht, wenn wir bestimmte Begriffe wie "Rechtfertigung", "Liebe Gottes" und "Gnade" einmal bewusst vermeiden würden und stattdessen in unverbrauchten Worten beschreiben, was damit genau gemeint ist.

evangelisch.de: Eine Aufgabe ihres Zentrums ist es auch, neue Verkündigungsformen zu entwickeln. Woran denken Sie da?

Deeg: Da gibt es viele Möglichkeiten. Wir werden einmal im Jahr eine "Experimentier-Kanzel" veranstalten, bei der wir Menschen zusammenholen, die Lust auf Predigt haben, kreativ sind und etwas Neues ausprobieren möchten, zunächst einmal im "geschützten Raum" und nicht gleich vor der Gemeinde. Ein spannender Ansatz könnte es sein, mit Texten zu experimentieren. Wie man aus Worten aus der Bibel und Texten aus der Gegenwart, etwa aus Kunst oder Literatur, ein Gewebe schaffen kann und wie man so etwas inszeniert, wird sicherlich spannend. Wir könnten damit auch der Form der Dialogpredigt, mit der vor 30 oder 40 Jahren schon einmal vielerorts experimentiert wurde, eine neue Chance geben. Von ihrem Wesen her ist evangelische Predigt ja ein Dialog, ein Miteinander.

Predigt als Theaterstück

evangelisch.de: Die Predigt als Theaterstück sozusagen?

Deeg: An Weihnachten erleben wir ja, dass die Verkündigung in Form des Krippenspiels sehr erfolgreich ist. So etwas wäre auch an anderen Sonntagen im Jahr denkbar. Aber es muss eben gar nicht so aufwendig sein. Eine interessante Form wäre auch, Texte, an verschiedenen Stellen im Kirchenraum vorgetragen, miteinander in Schwingung zu bringen. Auch ein neues Miteinander von Wort und Musik stelle ich mir fruchtbar vor.

evangelisch.de: Geht es also letztlich nur um besseres Entertainment?

Deeg: Es geht um die Inhalte! Wir haben eine unglaubliche Botschaft anzusagen. Die Botschaft von einem Gott, der sich radikal auf diese Welt einlässt, von Gott, der mit mir und meinem Leben zu tun hat, von Gott, der den Tod besiegt, von Gott der nicht will, dass Krieg herrscht auf dieser Welt. Wir haben eine biblische Botschaft, die in ihrer sozialethischen Dimension teilweise radikal ist. Ich denke, Predigt könnte oft mutiger sein. Nicht, um sie aufzupeppen, sondern weil wir eine Botschaft haben, die theologisch, politisch und ethisch provoziert. Mich haben Menschen gefragt: "Warum seid ihr so still zu dem, was politisch und wirtschaftlich passiert?", und an Jesus erinnert, der die Händler aus dem Tempel vertrieben hat.

evangelisch.de: Gelingt Ihnen das selbst denn? Was war Ihre beste Predigt?

Deeg: Ich bin ein Prediger, der selten mit sich zufrieden ist. Aber eine gute Predigt ist für mich eine, nach der die Menschen sagen: "Bei der Predigt war ich dabei, die hat mich nicht nur kognitiv interessiert und emotional berührt, sondern da habe ich mehr erfahren, etwas erlebt, was ich sonst nicht erlebe." Gottes Wort im steilsten Sinn: Trost, Ermutigung, Hoffnung, Aufrüttelung. Ich habe immer dann gut gepredigt, wenn es mir gelungen ist, das biblische Wort so in die Zeit zu setzen, dass die Menschen merken, wie brennend, wie aktuell und wie herausfordernd die Bibel ist. Vor einiger Zeit ist mir dies mit einer Predigt über das Gericht Gottes und den Zorn Gottes – wie ich denke – ganz gut gelungen. Diese Themen beschäftigen die Menschen, wir trauen uns nur nicht so oft daran. Darüber hinaus gibt es auch ein Predigthandwerk, für das wir verantwortlich sind.

Handwerkliche Fehler

evangelisch.de: Welche handwerklichen Fehler haben Sie denn schon gemacht?

Deeg: Ich denke da an eine Erntedankfest-Predigt, die ich mit dem wunderbaren Weizenkorn als Symbol in der Hand mit der Gemeinde bestreiten wollte. Das war vollkommen blödsinnig, weil kein Mensch das winzige Korn auf die Entfernung sehen konnte. Ich wollte besonders witzig sein, aber das fand eigentlich keiner witzig, sondern nur gewollt. Und – mal wieder – erwartbar.

evangelisch.de: Welche drei Tipps würden Sie einem jungen Pfarrer und einer jungen Pfarrerin für eine gelungene Predigt mit auf den Weg geben.

Deeg: Sie sollten das biblische Wort, in dem unsere Welt steckt und das etwas Erhellendes und Faszinierendes zu sagen hat, mit großer Erwartung lesen und sich selbst darin wiederfinden. Sie sollten außerdem die Lust und die Möglichkeiten der eigenen Sprache entdecken, neue Bilder finden und von Journalisten und Schriftstellern lernen, um die eigene Sprache weiterzuführen. Außerdem sollten sie den Zuhörern auch etwas zutrauen und Fragen offenlassen. Ein Prediger muss auch zeigen, dass er mit seiner Person nicht allein dafür einstehen kann, was den Glauben ausmacht. Prediger dürfen auch offene Fragen und Zweifel haben. Eingebettet in das Ganze des Gottesdienstes, wo noch viel gelobt und der Glaube bekannt wird, würde die Predigt auch dadurch mehr Schärfe bekommen.

Tipps gegen Schreibblockade

evangelisch.de: Jeden Sonntag eine neue Predigt zu halten, stelle ich mir sehr schwer vor. Haben Sie auch Tipps gegen Schreibblockaden?

Deeg: Mir selbst hilft es am meisten, wenn ich nicht krampfhaft von einem Thema ausgehen muss, sondern mich auf das Bibelwort einlassen kann, das für den jeweiligen Sonntag oder Feiertag vorgesehen ist, selbst wenn es mir manchmal widerständig und merkwürdig erscheint. Ich versuche dann, das Wort – möglichst eine Woche vorher - auswendig zu lernen, und spaziere sozusagen mit dem Wort im Herzen durch die Welt. Ich merke dann eigentlich immer in Gesprächen mit Menschen, beim Entdecken von Werbetafeln, beim Lesen der Zeitung, im Kino oder anderswo, dass es Resonanzen gibt zwischen dem biblischen Wort und dem, was in der Welt los ist. Im Laufe der Woche sammle ich dann schon viele Ideen, so dass ich am Ende oft eher das Problem habe, etwas auszulassen, und eigentlich nie vor einem leeren Blatt Papier sitze.


Das Zentrum für Predigtkultur soll die Kultur der evangelischen Predigt als zentrales Element protestantischer Glaubens- und Gottesdiensttradition fördern. Zum Angebot des Zentrums gehören Studienzeiten für Prediger, Lehrgänge zur praktischen Vermittlung von Rhetorik und Literatur sowie Auszeichnungen besonders gelungener Predigten. Standort ist Wittenberg. Geleitet wird das Zentrum von dem bayerischen Pfarrer Dr. Alexander Deeg. Nach Studium der Evangelischen Theologie und Judaistik in Erlangen und Jerusalem arbeitete Deeg (geb.1972) zunächst als Vikar der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, dann von 2001 bis 2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Praktischen Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. 2005 wurde er zum Dr. theol. promoviert, in seiner Dissertation hat er sich mit der Homiletischen Textlektüre im Dialog mit dem Judentum auseinandergesetzt.

Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur.