Wenn Kinder spielen, kann es schon mal laut werden. Doch wie laut darf Kinderlärm sein und wie viel müssen Anwohner von Kindertagesstätten ertragen? Immer wieder müssen sich Gerichte damit beschäftigen. Doch konkrete Bestimmungen zum Kinderlärm gibt es bisher nicht. Eine Bundesratsinitiative will jetzt gesetzliche Klarheit schaffen. Berlin hat das bereits getan: Dort muss Kinderlärm künftig grundsätzlich geduldet werden.
Der Stadtteil Großhadern in München ist mit Kinderbetreuungseinrichtungen laut Statistik der Stadt eher unterversorgt. Deshalb freuen sich die Eltern, dass der Waldorfkindergarten einen Erweiterungsbau plant. Der Stadtrat gibt umgehend grünes Licht für das Vorhaben. Doch ein Nachbar stellt sich quer und verklagt die Stadt. Er fürchtet ein unzumutbares Verkehrsaufkommen und eine zu hohe Lärmbelastung.
Mehr Akzeptanz für den Nachwuch
Konflikte wie dieser sind kein Einzelfall. Immer wieder wird gegen den Neubau von Kindertageseinrichtungen geklagt. Meist bangen die Anwohner um den Wert ihres Wohneigentums. Oft entzündet sich der Streit auch an Spielplätzen oder an Kinderlärm innerhalb von Wohnanlagen. Wenn die Kleinen vor Entzücken quietschend auf der Schaukel sitzen oder sich mit wildem Gebrüll über den Rasen jagen, ist das vielen Erwachsenen zu viel.
"Über die Hälfte aller Fälle, die in unserer Ombudsstelle landen, haben mit Kinderlärm zu tun", sagt Jana Frädrich, Kinderbeauftragte der Stadt München. Durch eine Kampagne mit Post-Wurfsendungen und Handreichungen wurde bereits versucht, mehr Akzeptanz für den Nachwuchs zu schaffen. Die Fallzahlen gingen zurück. Doch inzwischen steigen sie wieder.
Auch bei neuen Kitas kommt es häufig zu Streit. Anwohner schließen sich zusammen, starten Unterschriften-Aktionen und schicken Protestbriefe an die Stadt. Immer wieder landen die Klagen auch vor Gericht. Das Problem: Konkrete gesetzliche Bestimmungen, wie Kinderlärm zu bewerten ist, gibt es nicht. Oft wird er mit dem Lärm von Autos und Rasenmähern gleichgesetzt und als schädliche Umwelteinwirkung eingestuft.
Freiräume, um spielerisch soziales Verhalten zu lernen
Das soll sich ändern: Rheinland-Pfalz hat im Bundesrat eine Initiative zur gesetzlichen Regelung gestartet. Der Bund wird darin aufgefordert, in mehreren Gesetzen für Klarstellungen zu sorgen, unter anderem im Bundes-Immissionsschutzgesetz, im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Baurecht und auch im Mietrecht. Schilder wie "Ballspielen im Hof verboten" sollen dann der Vergangenheit angehören.
"Lärm, der entsteht, wenn Kinder in ihren Einrichtungen rufen, rennen und spielen, darf nicht mit Gewerbe- oder Verkehrslärm gleichgesetzt werden", sagt die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad. Lärmen beim Spiel sei Ausdrucksform und Begleiterscheinung kindlichen Verhaltens. Kinder bräuchten Freiräume, um spielerisch soziales Verhalten zu erlernen. "Diese Freiräume werden durch Klagen stets aufs Neue gefährdet und müssen für die Kinder besser gesichert werden." Mehrere Länder, darunter Brandenburg, Bremen und Hessen haben sich der Initiative bereits angeschlossen. Derzeit wird die Vorlage in den Bundesratsausschüssen beraten, erst dann kann sie von der Länderkammer beschlossen werden.
"Kinderlärm ist Zukunftsmusik"
"Kinderlärm ist keine Belästigung, es ist Zukunftsmusik", sagt auch Paula Honkanen-Schoberth, Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes. Kinder hätten ein Recht auf Bildung, Spiel und Freizeit. Diese Rechte müssten gleichwertig mit dem Recht auf Eigentum im Grundgesetz verankert werden. Die Bundesratsinitiative sei "dringend notwendig, um Lärmklagen gegen Kitas, Bolz- und Spielplätze in Zukunft zu verhindern beziehungsweise zu erschweren und Kitas in reinen Wohngebieten ein unbeschwertes Existenzrecht zu gewähren."
Das ist auch das Ziel der Berliner Initiative. Mit der Änderung des Landes-Immissionsschutzgesetzes müssen "selbst störende Geräusche von Kindern" jetzt grundsätzlich als zumutbar von der Nachbarschaft hingenommen werden, "wenn sie der kindlichen Entfaltung und kindgerechten Entwicklungsmöglichkeiten dienen".
Der Waldorfkindergarten in München hatte Glück. Der Anwohner kam mit seiner Klage vor Gericht nicht durch. Zur Freude der Eltern wurde die Einrichtung inzwischen erweitert.