Kaum Anreiz für Hartz-IV-Empfänger zu Jobaufnahme
Arbeitslose hierzulande sind im EU-Vergleich finanziell eher gering abgesichert. Zudem ist es für Langzeitarbeitslose schwierig, durch Erwerbsarbeit aus Hartz IV herauszukommen.

Bestenfalls durchschnittliche Zensuren bekommt das deutsche Sozialsystem bei einer neuen Studie der internationalen Wirtschaftsorganisation OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Ihr zufolge haben Langzeitarbeitslose in Deutschland trotz der Hartz-Reformen im Vergleich zu anderen Industriestaaten nur wenig finanzielle Anreize, gering bezahlte Jobs aufzunehmen. Als Grund nannte die OECD hohe Sozialabgaben für Geringverdiener sowie die "unspezifische Förderung" von Minijobs. Zudem stehen deutsche Arbeitslose im internationalen Vergleich nicht übermäßig gut da. Ihre finanzielle Absicherung liege im Durchschnitt der 30 OECD-Länder, im europäischen Vergleich sei sie allerdings eher gering.

Mehr als Hartz IV erst bei 60 Prozent des Durchschnittslohns

Mit Blick auf die geringen Anreize für Hartz-IV-Empfänger zur Aufnahme gering bezahlter, aber existenzsichernder Jobs verwies die OECD darauf, dass ein Alleinerziehender oder verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern Einkommen von mehr als 60 Prozent des Durchschnittslohns erzielen müsse, ehe das Nettoeinkommen merklich über dem Sozialtransfers liege. Darin seien Kosten für Kinderbetreuung und die Schwierigkeiten, in Deutschland einen Betreuungsplatz zu erhalten, nicht berücksichtigt. In Frankreich hingegen steige das Nettoeinkommen bei Arbeitsaufnahme schon ab dem ersten Euro. In Schweden liegt die Schwelle bei 20 Prozent des Durchschnittlohns.

Herwig Immervoll, Ökonom bei der OECD, sagte, es sei in Deutschland vergleichsweise schwer, durch Erwerbsarbeit im Niedriglohnbereich über die Armutsgrenze zu gelangen und damit unabhängig von Hartz IV zu werden. "Das sehr hohe Armutsrisiko der Alleinerziehenden (...) ist vor allem die Folge einer ausgesprochen geringen Erwerbsbeteiligung", so Immervoll weiter. Daher seien etwa Steuergutschriften für Alleinerziehende eine sinnvollere staatliche Subventionierung als die Förderung von geringfügiger Beschäftigung - etwa in Form von Freibeträgen im Arbeitslosengeld II oder der Mini-/Midijobs. "Einige OECD-Länder schaffen es, eine relativ großzügige finanzielle Absicherung mit hohen finanziellen Anreizen zur Arbeitsaufnahme zu kombinieren."

Arbeitslosengeld teils über, teils unter OECD-Schnitt

Nach den Angaben der OECD sind in Deutschland Familien mit Kindern und Alleinerziehende bei Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich bessergestellt als kinderlose Singles oder Paare. Ein alleinstehender Durchschnittsverdiener erhalte direkt nach dem Jobverlust 60 Prozent seines Nettolohns aus staatlichen Transfers ersetzt. Deutschland rangiere damit leicht über dem OECD-Schnitt. Auch bei Alleinerziehenden und Familien mit zuvor nur einem Erwerbstätigen liege der Lohnersatz mit 70 Prozent beziehungsweise 72 Prozent des letzten Nettoeinkommens leicht über dem OECD-Schnitt.

Nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit erhält ein alleinstehender Durchschnittsverdiener in Deutschland 36 Prozent seiner damaligen Netto-Bezüge. Damit steht Deutschland auf Platz 14 der 29 untersuchten OECD-Länder. Die höchsten Sozialtransfers werden für diese Personengruppe in den Niederlanden, Dänemark und Irland gezahlt. In den USA erhalten diese Personen nur noch sechs Prozent ihrer früheren Netto-Bezüge.

Bei Geringverdienern schließlich liege der deutsche Lohnersatz im unteren Drittel der OECD-Länder. Geringverdiener mit Kindern, die ihren Job verlieren, seien dagegen im OECD-Vergleich durchschnittlich abgesichert. Relativ gut sei die Absicherung bei Paaren, wenn ein Partner noch arbeitet.

FDP wie Grüne sehen ihre Positionen bestätigt

Die OECD-Berechnungen beruhen auf Angaben der zuständigen Ministerien in den jeweiligen Ländern. Sie enthalten alle finanziellen Leistungen, die den Haushalten zustehen. Nicht einbezogen sind allerdings Sachleistungen oder Vergünstigungen wie kostenlose Fahrkarten für den Nahverkehr oder ermäßigter Eintritt zu Kultur- oder Sportveranstaltungen. Als Durchschnittseinkommen wurden die Gehälter von Vollzeitarbeitnehmern in der Privatwirtschaft herangezogen. Für Deutschland lag dieses Einkommen 2008 bei 41.400 Euro brutto.

Die FDP fühlte sich durch die OECD-Studie in ihrer Politik bestätigt. Da es für Langzeitarbeitslose nur einen schwachen Anreiz für Beschäftigung gebe, sei es richtig, dass die Koalition die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Hartz IV verbessern wolle, erklärte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel. Die FDP werde dafür sorgen, dass das Hartz-IV-System fairer werde.

Der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, bewertete die Studie hingegen als Beleg für die Notwendigkeit, die Hartz-IV-Sätze neu zu berechnen. Zudem könne durch einen gesetzlichen Mindestlohn der Anreiz gestärkt werden, eine Beschäftigung aufzunehmen. Denn ein Mindestlohn verbessere die Einkommen im Niedriglohnbereich.

Zur Mitteilung der OECD

dpa/epd