UN-Klimachef de Boer wirft das Handtuch
UN-Klimachef Yvo de Boer (55) hat überraschend seinen Rücktritt angekündigt. Das bestätigte das UN-Klimasekretariat am Donnerstag in Bonn. Über die Gründe für den Amtsverzicht herrscht noch Rätselraten. Das Scheitern des Kopenhagener Gipfels hat wohl wesentlich dazu beigetragen.
18.02.2010
Von Bernd Buchner und Edgar Bauer

Zu den Gründen zählt möglicherweise auch der Streit um ungenaue Studien des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) zur Gletscherschmelze im Himalaya. Das Gremium hatte Mitte Januar eingeräumt, dass seine Warnungen vor einem rapiden Abschmelzen keine gesicherte wissenschaftliche Grundlage haben. In den Berichten war von einem Zeitraum bis 2035 die Rede. Die britische Zeitung "Times" hatte aufgedeckt, dass die Angaben auf ungesicherte Informationen aus einer populärwissenschaftlichen Veröffentlichung beruhten.

Der Niederländer de Boer gibt sein Amt als Generalsekretär des UN-Klimasekretariats (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) voraussichtlich Ende Juni ab. Nach eigenen Angaben will er zum privaten Beratungsunternehmen KPMG wechseln. Der Rückzug des seit September 2006 amtierenden UN-Klimachefs gilt als schwerer Rückschlag für die Bemühungen um ein internationales Abkommen zum Klimaschutz. Das Scheitern der Kopenhagener Konferenz vom Dezember 2009 galt auch als persönliche Niederlage de Boers, der bei den Verhandlungen eine Schlüsselrolle gespielt hatte.

Konferenzen in Bonn und Cancun

Im Dezember will die Weltgemeinschaft im mexikanischen Cancun erneut versuchen, sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Klimawandel zu verständigen. Zuvor gibt es vom 31. Mai bis 11. Juni eine große Konferenz in Bonn, am Sitz des UN-Klimasekretariats. Nach Einschätzung von Fachleuten ist in den nächsten Jahrzehnten eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad Celsius nötig, um einen ökologischen Kollaps des Planeten zu verhindern.

Der Schritt des versierten Verhandlers kommt zu einem Zeitpunkt, da die Klimaverhandlungen am Scheideweg stehen. Zwei Monate nach dem Desaster von Kopenhagen hängt der internationale Klimaschutz in der Schwebe. Das angestrebte Nachfolgeabkommen für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll steht in den Sternen. Und der Schritt von de Boer wirft erneut die Frage nach der Rolle der Vereinten Nationen auf. Sind sie das geeignete Forum, um ein Abkommen zu verabschieden, wenn dafür die gesamte Staatengemeinschaft und alle nationalen Interessen auf einen Nenner gebracht werden müssen?

Gegen taktische Manöver machtlos

Yvo de Boer hat alles versucht, damit diese Verständigung erreicht werden kann. Er hat auch nie die kleineren Länder aus den Augen verloren. Gegen die taktischen Manöver, vor allem von China und den USA, und den fehlenden politischen Willen zu einer Einigung war er aber in Kopenhagen letztlich machtlos und weitgehend in eine Zuschauerrolle abgedrängt. Zuvor war de Boer, der über lange Erfahrung in den Klimakonferenzen verfügt, als vielsprachiger Mittler und Moderator immer im Brennpunkt.

"Mit de Boer geht der große Steuermann des Klimaprozesses von Bord", sagte der Leiter der Klimapolitik von Greenpeace, Martin Kaiser. Der Zeitpunkt sei aber nicht falsch, um die Weichen jetzt neu zu stellen und die Industrieländer auf der einen und die Schwellenländer wie China und Indien sowie die Entwicklungsländer auf der anderen Seite wieder näher zusammenzubringen.

Ohne Peking geht nichts mehr

In Kopenhagen hatten sich die Staats- und Regierungschefs nur auf ein Mini-Ergebnis verständigen können. Die "Kopenhagen-Vereinbarung" wurde schließlich von der Staatengemeinschaft nicht einmal verabschiedet. Keine Seite ging Verpflichtungen ein. Besonders China kämpfte mit harten politischen Bandagen und wollte US-Präsident Barack Obama zeigen, dass ohne Peking auf internationaler Bühne nichts mehr geht. Die Gefechtslage hat sich seither kaum verändert. Es gibt sogar kritische Stimmen, die davon ausgehen, dass es auf absehbare Zeit und auf Basis der Kopenhagener Papiere keine Einigung geben wird.

Schon beim Kyoto-Protokoll 1997 hatte de Boer mitgearbeitet. Danach leitete er EU-Delegationen bei Klimakonferenzen. Auf der großen Konferenz von Bali im Dezember 2007 versagten ihm nach aufreibenden Schlusstagen die Nerven und er brach auf offener Plenarbühne in Tränen aus, als der Vertreter Chinas ihn kritisierte. Yvo de Boer wird jetzt noch bis Ende Juni auf seinem Posten bleiben und zunächst im Frühjahr in Bonn auf einer UN- Zwischenkonferenz nach Lösungen suchen. Der große Wurf ist dabei nicht zu erwarten.

Nicht gänzlich deprimiert

In der Erklärung zu seinem Rücktritt zeigte sich de Boer aber nicht gänzlich deprimiert. Dass inzwischen die wichtigsten Länder - alle zusammen sind für mehr als 80 Prozent des weltweiten CO2- Ausstoßes verantwortlich - ihre nationalen Klimaschutzziele vorgelegt hätten, zeige ihre Bereitschaft, für ein neues Abkommen zu arbeiten. Das soll dann im November/Dezember in Cancun (Mexiko) verabschiedet werden - de Boer ist dann schon nicht mehr dabei.

Der niederländische Diplomatensohn zieht mit seinem Rücktritt sicher auch eine persönliche Konsequenz aus dem Scheitern von Kopenhagen. Dass es externen Druck von Regierungen für seine Ablösung gegeben haben könnte, wird von seinem Umfeld verneint. Informierte Kreise verweisen auf eine Amtsmüdigkeit. Der Druck des permanenten internationalen Prozesses sei immens - auch physisch. Auch auf seinen Nachfolger wartet eine herkulische Aufgabe.

evangelisch.de/dpa