Einige Christen im Irak sind jedoch der Meinung, dass Friedfertigkeit und beschwichtigende Erklärungen nicht ausreichen, um den Exodus der christlichen Minderheit an Euphrat und Tigris zu stoppen. Sie wollen nicht länger die andere Wange hinhalten, sondern Druck machen auf die Regierung und die Behörden, und mit Protestaktionen im Ausland auf ihre Lage aufmerksam machen.
"Wir alle lieben den Kardinal, er ist wie ein Schmuckstück in seiner roten Robe, aber es muss jetzt schnell etwas Drastisches passieren, bevor die Christen aus diesem Land endgültig verschwunden sind", erklärt die ehemalige Umweltministerin und Menschenrechtsaktivistin Pascale Warda. Die assyrische Christin, die in einem der am besten bewachten Viertel von Bagdad lebt, hat auch einen französischen Pass. Doch das Exil ist für sie keine Lösung: "Wir müssen die irakische Straße mobilisieren, und wenn das auch nichts nützt, dann organisieren wir eben Demonstrationen in Frankreich und Australien", sagt sie. Rund 1,5 Millionen Christen lebten im Irak, als die US-Armee im Frühjahr 2003 das Regime von Saddam Hussein stürzte. Heute sind es nach inoffiziellen Schätzungen noch maximal 750.000.
70 Prozent der Morde an Christen werden nie aufgeklärt
Mehr als 730 Christen wurden seit dem Einmarsch der Amerikaner im Irak ermordet. An vergangenen Dienstag traf es einen jungen Mann, der auf dem Weg zur Universität erschossen wurde, einen Tag zuvor wurde der Besitzer eines Geschäftes für Haushaltswaren getötet. Die meisten Christen starben in der Hauptstadt Bagdad und in der Stadt Mossul im Norden, wo sie im Machtkampf der Araber und Kurden zwischen die Fronten geraten sind.
Unter den Toten sind auch zwölf Geistliche, die von ihren Gemeinden heute als Märtyrer verehrt werden. Einige dieser Morde an Studenten, Apothekern, Ärzten und Priestern gehen wohl auf das Konto der El-Kaida-Terroristen. Doch wer ist für die anderen Morde verantwortlich? Laut einer Statistik der Hammurabi Menschenrechtsorganisation wurden mehr als 70 Prozent der Morde an Christen nie aufgeklärt.
Schiitische Gläubige reißen Weihnachtsdeko der Christen ab
Die meisten irakischen Muslime haben zwar nichts Schlechtes über ihre christlichen Nachbarn zu sagen. Einige von ihnen schicken sogar ihre Kinder auf christliche Schulen, weil diese einen besonders guten Ruf haben. Doch, wenn es darum geht, ihre Häuser und Kirchen zu schützen, fühlt sich kaum jemand zuständig. Ein sunnitischer Imam soll in Mossul während der Freitagspredigt in Anspielung auf die religiösen Feiertage der Juden und Christen erklärt haben: Den Samstag sind wir schon losgeworden und der Sonntag wird auch noch kommen.
Konsequenzen hatte seine Hass-Predigt nicht. Am Weihnachtstag rissen Angehörige der schiitischen Glaubensgemeinschaft der Schabak in dem Dorf Batallah bei Mossul vor einer Kirche der assyrischen Christen die Weihnachtsdekoration ab und schimpften: Was fällt euch ein, im schiitischen Trauermonat Muharram ein Freudenfest zu feiern. Für Pascale Warda ist an diesem Vorfall besonders schockierend, dass die Schiiten bewaffnet waren und in Fahrzeugen der Polizei vorfuhren.