Ein Drittel mehr Arme in Deutschland
Höhere Hartz-IV-Regelsätze sind einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge nicht geeignet, um Armut zu überwinden. Mehrere Kinder sind ein Armutsrisiko, weshalb vor allem Investitionen in die Kinderbetreuung ein sinnvoller Weg seien, die Armut bei Familien zu senken.

"Finanzielle Unterstützung allein bekämpft zwar Symptome, kuriert aber nicht die Ursachen von Armut", erklärte die Forschungseinrichtung in Berlin. Die Wissenschaftler fordern einen passgenauen Mix aus finanzieller und nicht-finanzieller Unterstützung: "Investitionen in Betreuungseinrichtungen und in die Verbesserung der Erwerbschancen für Alleinerziehende und Eltern junger Kinder könnten hier effektiver wirken."

Der Untersuchung zufolge lebten 2008 in Deutschland rund 14 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsschwelle. Das ist rund ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren. Kinder und junge Erwachsene seien besonders betroffen. Nach einer Definition der Europäischen Kommission gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens seines Landes zur Verfügung hat. Wer weniger als 50 Prozent hat, gilt offiziell als arm. In Deutschland lag das Durchschnittsentgelt 2009 brutto bei rund 30.900 Euro, etwa 14 Prozent der Bevölkerung sind armutsgefährdet oder arm (11,5 Millionen Menschen). "Vor allem junge Erwachsene und Haushalte mit Kindern sind betroffen", sagte Studien-Autor Markus Grabka. Unter den 19- bis 25-Jährigen lebte 2008 knapp ein Viertel unterhalb der Armutsschwelle.

Kinder sind ein Armutsrisiko in Deutschland

Für das steigende Armutsrisiko unter jungen Menschen nennen die Wissenschaftler vor allem drei Gründe: Die Ausbildung dauert länger und es gibt mehr Hochschulabsolventen, so dass sich der Start ins Berufsleben verzögert. Hinzu kommen schlecht bezahlte Einstiegsjobs sowie der Trend, früher aus dem Elternhaus auszuziehen.

"Insbesondere Familienhaushalte mit mehr als zwei Kindern sind stärker von Armut betroffen", sagte Co-Autor Joachim Frick. Für Familien mit drei Kindern liege das Risiko bereits bei knapp 22 Prozent, bei vier und mehr Kindern erreiche es 36 Prozent: "Gegenüber 1998 ist das Armutsrisiko kinderreicher Haushalte beträchtlich gestiegen." Mit über 40 Prozent weisen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern ebenfalls weit überdurchschnittliche Armutsraten auf.

Eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze, wie sie derzeit als Folge des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes diskutiert wird, könne zwar den akuten Einkommensbedarf der Betroffenen decken, hieß es. Doch werde damit nicht der Kern des Problems getroffen. Das gelte auch für die jüngste Anhebung des Kindergelds nach dem Gießkannenprinzip. "Hier mangelt es an Zielgenauigkeit", so Grabka. Sinnvoller seien Investitionen in Kinderbetreuung und in verbesserte Erwerbschancen für Alleinerziehende und Familien mit jungen Kindern.

Anpassungen am Altersvorsorgesystem nötig

Nach Ansicht des Bankenverbandes ist Altersarmut in Deutschland kein Massenphänomen. Lediglich 2,5 Prozent der über 64- Jährigen hätten 2008 die Grundsicherung in Anspruch genommen. Dieser Anteil werde sich in den kommenden Jahren nicht nennenswert erhöhen. "Eine generelle Gefahr der Altersarmut ist für die Zukunft nicht zu erkennen", erklärte der Bundesverband deutscher Banken. Allenfalls langfristig sei ein Anstieg nicht auszuschließen.

Es seien aber Anpassungen am Altersvorsorgesystem nötig. Die Einführung einer Mindestrente oder eine Höherbewertung von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit seien zur Problemlösung ungeeignet. Der Verband plädiert dafür, Selbstständige zum Abschluss einer privaten Altersvorsorge zu verpflichten. "Ihre Eingliederung in die gesetzliche Rentenversichewrung wäre nur eine Scheinlösung."

Die Politik sollte auch Menschen, die Risikogruppen zuzurechnen sind, besseren Zugang zur kapitalgedeckten Altersvorsorge zu verschaffen. Bei Abschluss jedes Arbeitsvertrages sollte automatisch ein Beitritt zur betrieblichen Altersvorsorge erfolgen, damit mehr Menschen davon profitieren. Darüber hinaus müssten die Hemmnisse beseitigt werden, die bisher Arbeitnehmer von der betrieblichen Altersvorsorge und der "Riester-Rente" abhielten.

SoVD-Präsident Adolf Bauer forderte die Bundesregierung auf, umgehend Sofortmaßnahmen gegen Kinderarmut zu ergreifen. Eine direkte Entlastung der Betroffenen könne erreicht werden, indem das Kindergeld nicht mehr vollständig auf den Hartz-IV-Bezug angerechnet wird.

epd/dpa