Washington wagt die Wende – ins vorige Jahrhundert
Gut 30 Jahre nach dem Beinahe-GAU von Harrisburg sollen in den USA erstmals wieder neue Atomkraftwerke gebaut werden. Barack Obama will das mit Milliardensummen unterstützen.
17.02.2010
Von Thomas Östreicher

Er mache seine Versprechen nicht wahr, hat man dem US-Präsidenten vielfach vorgeworfen. Dieses Mal ist das anders: Barack Obama handelt wie angekündigt und sagte jetzt dem Energieriesen Southern Co. Kreditbürgschaften über mehr als acht Milliarden Dollar zu. Der Konzern will damit neue Atomkraftwerke bauen.

Das Entsetzen bei den noch immer zahlreichen Obamafans ist groß. Sie erinnern sich an die Zeit vor zwei Jahren, als sich der Wahlkämpfer Obama gerade auf dem Feld der Energiepolitik von seinem republikanischen Kontrahenten John McCain abgrenzen wollte. "100 neue Atomkraftwerke" hatte dieser für den Fall seines Wahlsiegs angekündigt, davon 45 bereits bis 2030. Für Barack Obama hingegen war das damals "kein ernsthafter Plan, um die Energieprobleme zu lösen". Er schlug stattdessen ein 150-Milliarden-Dollar-Programm zur Erschließung alternativer Energiequellen vor und entzückte damit Umweltschützer beiderseits des Atlantiks.

Der Präsident lobt die "saubere Energie"

Doch die ökologischen Visionen sind längst vergessen. Bereits in seiner Rede zur Nation Anfang Februar hatte Obama das Atom-Revival in Aussicht gestellt. In gewohnt geschliffener Rhetorik räumte der Präsident nun zwar ein, die nukleare Energieerzeugung habe "ernstzunehmende Nachteile", um die Sicherheit gebe es gar "berechtigte Bedenken". Entscheidend sind sie aber offenbar nicht. Und angesichts der weltweit bislang erfolglosen Suche nach geeigneten Endlagerstätten die Atomkraft "sauber" zu nennen, ist ein starkes Stück. Wie "sauber" ist eine Technologie, die Müll produziert, der Zehntausende von Jahren hoch radioaktiv strahlt?

Hierzulande verabschieden sich – mit Unterstützung der Kanzlerin – inzwischen sogar CDU-Bundesminister von der ebenso teuren wie gefährlichen Atomkraft, während Mega-Solarprojekte wie Desertec für die europäische Großindustrie zunehmend einen faszinierenden Charme entwickeln. Wenn Barack Obama nun ohne Not eine Dinosaurier-Technologie wieder auferstehen lässt, schickt er zweierlei Signale: an das vor den Senatswahlen im Herbst verunsicherte Wahlvolk die fatale Botschaft des "weiter so" und ein "wir können auch Technik" an den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der erst vor wenigen Tagen mit der Fähigkeit prahlte, Uran bis hin zur Waffenfähigkeit anzureichern.

Hinterlassenschaften für Generationen

Seit der verlorenen Senats-Nachwahl am 19. Januar und dem Ende ihrer Super-Mehrheit muss Barack Obamas Regierung mehr als zuvor Kompromisse mit der Opposition finden. Doch ob die Wende zurück ins vorige Jahrhundert den Konsens fördert und nebenbei das im eigenen Land rapide schwindende Ansehen des Präsidenten stärkt, darf bezweifelt werden. Fest steht: Barack Obama hinterlässt nachfolgenden Generationen ein Erbe bis in ferne Zeiten, wenn selbst er längst vergessen sein wird. Auch so kann man unsterblich werden.


Thomas Östreicher ist freier Journalist in Hamburg und Frankfurt.