Historiker: "Spätrömische Dekadenz" ist ein Klischee
Westerwelle warnte vor "spätrömischer Dekadenz", Vergleiche mit Caligulas Esel und dem zündelnden Nero folgten. Historisch alles Humbug, sagt nun ein Experte.

"Es scheint in Deutschland nur noch Bezieher von Steuergeld zu geben, aber niemanden, der das alles erarbeitet. (...) Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein. An einem solchen Denken kann Deutschland scheitern." Mit diesen Sätzen in einem Beitrag für die "Welt", ergänzt durch den Hinweis auf angeblich "sozialistische Züge" der Hartz-IV-Debatte, hat FDP-Chef Guido Westerwelle für einen Aufschrei der Empörung gesorgt und eine anhaltende Debatte über den Sozialstaat angestoßen. 

"Nicht alle aßen gefüllte Giraffenhälse"

Der griffige Vergleich mit dem untergehenden antiken Weltreich entbehrt dabei allerdings der Grundlage, wie ein Historiker nun klargestellt hat. Er sei - wie auch die weiteren sprachliche Bilder aus der Antike, die in der Debatte bemüht wurden - "komplett an den Haaren herbeigezogen", kritisierte der Erfurter Universitätsprofessor Veit Rosenberger. Die Dekadenz der alten Römer sei "ein Klischee" - "nicht alle aßen gefüllte Giraffenhälse wie bei Asterix", sagte der Historiker der "Thüringer Allgemeinen".

Angesichts der 700-jährigen Existenz des Römischen Reiches "können die Römer so dekadent nicht gewesen sein", stellte Rosenberger fest. "Nur die absolute Elite, einer von zehntausend, konnte sich das erlauben."

Der Esel war in Wirklichkeit ein Pferd

Aber nicht nur Westerwelle stolpert mit seinem Vergleich über mangelnde historische Präzision. Auch der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vergallopierte sich bei seinem Vergleich von FDP-Chef Guido Westerwelle mit dem "Esel" von Kaiser Caligula. Geißler hatte erklärt, die von Westerwelle in der Sozialdebatte erwähnte "spätrömische Dekadenz" habe auch darin bestanden, dass Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannte - und den Außenminister Westerwelle mit dem tierischen Konsul verglichen. Schenkt man den römischen Geschichtsschreibern Sueton und Cassius Dio Glauben, war der Esel allerdings ein Pferd: des Kaisers Lieblingsross Incitatus. Dessen Ernennung sollte den römischen Senat provozieren.

Nach Überlieferungen schenkte der größenwahnsinnige Caligula seinem Pferd zudem einen eigenen Palast, Sklaven sowie kostbare Elfenbein-Möbel, Schmuck und Kleider. Dies sowie offenbar willkürliche Hinrichtungen von Senatoren und Adeligen brachten ihm zunehmend die Feindschaft der römischen Oberschicht ein. Im Jahr 41 fiel Caligula einem Attentat der Prätorianer, der kaiserlichen Elitetruppe, zum Opfer - so dass der von Geißler hergestellte Bezug auch zeitlich nicht passe, wie Rosenberger erklärte.

Kaiser Nero vor allem bei Ärmeren beliebt

Unpassend sei schließlich auch der von SPD-Chef Sigmar Gabriel gebrauchte Vergleich des FDP-Vorsitzenden mit dem zündelnden Nero, so der Historiker. Zum einen ist nicht belegt, dass der Kaiser wirklich für den großen Brand Roms verantwortlich war. Was Gabriel bei seinen Äußerungen aber vor allem nicht bewusst gewesen sein dürfte: Tatsächlich sei Nero vor allem in den unteren Schichten beliebt gewesen, "weil er mehrfach kostenlos Getreide verteilte", erläuterte Rosenberger.

epd/dpa/ups