IG-Metall-Chef: Närrisches Treiben an den Märkten stoppen
"Wir brauchen angesichts der tiefen Krise einen echten Neuanfang und keine Variante des Bestehenden": Der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber hat eine neue Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gefordert.

Beim Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen am Mittwoch in Essen sagte Huber: "Wir werden uns von dem Glauben verabschieden müssen, die Märkte würden, ließe man sie nur machen, alles von selbst regeln." Der rheinische evangelische Präses Nikolaus Schneider und der katholische Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck mahnten eine "menschengerechte Wirtschaftsordnung" an.

"Die Marktradikalen feiern einfach ohne Einsicht weiter"

IG-Metall-Chef Huber kritisierte eine "ungebremste Profitsucht", ein "närrisches Treiben an den Finanz- und Rohstoffmärkten" sowie eine "Verrohung des Arbeitsmarktes". Die "Marktradikalen" feierten einfach weiter, zeigten keine Einsicht und hielten an ihren Glaubenssätzen fest. "Und sie leben gut dabei, während die Zeit des Verzichts, der Entbehrungen, nicht selten auch der Zumutungen, für viele Menschen schon seit Jahren andauert" sagte der Gewerkschafter. Er verwies auf die Zunahme von Niedriglohnjobs, Leiharbeit, Schicht- und Wochenendarbeit sowie Leistungsverdichtung und wachsenden Arbeitsdruck.

Huber plädierte für eine aktive Industrie- und Arbeitsmarktpolitik, den Erhalt von Industriebetrieben, Arbeits- und Ausbildungsplätzen, Einkommens- und Tarifstandards. Wichtig sei dabei nicht allein die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern von "guter" Arbeit, unterstrich Huber. Dazu gehörten eine effektive Regulierung von Leiharbeit, armutsfeste Lohnuntergrenzen, eine Eindämmung von Mini-Jobs sowie der Erhalt des Kündigungsschutzes.

An die Kirchen appellierte Huber, beim Kampf für eine neue Arbeitspolitik und Wirtschaftsordnung mit den Gewerkschaften eine "Fahrgemeinschaft" zu bilden. "Eine Arbeitswelt, die die sozialen Interessen der Beschäftigen verletzt, kann auch christlichen Maßstäben nicht gerecht werden."

"Mensch ist Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft"

Der Essener Bischof Overbeck sagte, trotz der Krise und der Angst vieler Menschen vor Arbeitsplatzverlust sei die Hoffnung nicht unbegründet, dass "nach den ökonomischen Exzessen eines ausschließlichen Shareholder Value" nun eine neue Zeit anbreche. "Denn nicht Wenigen wird neu bewusst, dass nicht Quartalszahlen, sondern der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft ist."

Ein "menschengerechtes Wirtschaften" forderte auch Präses Schneider. "Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern hat immer eine dienende Funktion für den Einzelnen und für die Gesellschaft", sagte Schneider, der auch stellvertretender Ratvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.

Als unverzichtbar bezeichnete der Präses das System der sozialstaatlichen Absicherung, etwa durch die Grundsicherung. "Und das hat nichts mit spätrömischer Dekadenz zu tun", unterstrich der leitende Theologe der zweitgrößten evangelischen Landeskirche in Anspielung auf eine Äußerung von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) über Hartz-IV-Empfänger. Im späten Rom habe sich die Dekadenz vielmehr auf die Eliten bezogen, die nicht durch Arbeit zu Reichtum gekommen waren, vergleichbar den heutigen Spekulationsgewinnern, sagte Schneider.

Der Sozialpolitische Aschermittwoch der Kirchen im "Bergmannsdom" in Essen-Katernberg stand in diesem Jahr unter dem Thema "Der Faktor Arbeit in der Industriegesellschaft der Zukunft". Zu der ökumenischen Veranstaltung laden das Bistum Essen und die Evangelische Kirche im Rheinland seit 1998 ein, um öffentlich für Solidarität und Gerechtigkeit in der Gesellschaft einzutreten.

epd