Wenn der Weg zur aktiven Sterbehilfe eröffnet werde, könnten unheilbar Kranke das Gefühl haben, ihre Umgebung zu sehr zu belasten, sagte Käßmann laut Redemanuskript. Eine kranke Mutter könne sich gedrängt fühlen, nun zu sterben, weil die Familie mit ihrer Kraft am Ende sei. "Muss hier nicht Autonomie an Menschenwürde gemessen werden?" fragte die Bischöfin. Eine Dokumentation aus den Niederlanden habe gezeigt, dass dort jedes Jahr fast 1.000 meist demente Menschen in Altenheimen ohne Einwilligung "euthanasiert" worden seien.
In dem nördlichen Nachbarland macht zur Zeit eine neue Bürgerinitiative Schlagzeilen, die sich "Uit vrije will" nennt ("Aus freiem Willen"). Sie fordert, dass alle Niederländer über 70 Jahren das Recht erhalten, sich selbst zu töten. Gegenüber der "Frankfurter Rundschau" sagte die Gründerin Yvonne van Baarle, dies müsse "sorgfältig geschehen". Fachliche Begleitung und eine Überprüfung, ob der Todeswunsch authentisch sei, müsse es ebenfalls geben. Bisher ist in den Niederlanden die Hilfe zum Selbstmord zwar verboten, aber nicht strafbar.
Holländisches Beispiel ist problematisch
2002 verabschiedeten die Niederlande als erstes europäisches Land ein "Gesetz zur Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe bei der Selbsttötung" ("Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding"). Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Selbstmord sind danach nicht mehr strafbar, wenn sie von einem Arzt begangen werden, der besondere Sorgfaltskriterien beachten muss, zum Beispiel einen weiteren Arzt hinzuziehen, medizinisch korrekt vorgehen und alle Schritte der Palliativ-Medizin vorher gehen. Dies wird von einer Kontrollkommission geprüft. 2007 stellte eine Regierungskommission fest, dass ein Teil der Tötungen ohne das Einverständnis des Patienten passierte: 2001 in 950 Fällen, 2005 noch in 550 Fällen, allerdings nur bei den offiziell gemeldeten Tötungen - die Dunkelziffer ist unbekannt.
Das holländische Beispiel gilt deshalb ähnlich wie das ebenfalls 2002 verabschiedete belgische Gesetz auch unter Befürwortern der Sterbehilfe als problematisch, da sich manche Bürger gezwungen sehen, eine Karte bei sich zu tragen, die einer möglichen Euthanasie im Falle einer plötzlichen Krankheit explizit widerspricht.
Käßmann: Palliativmedizin und Hospizwesen fördern
Bischöfin Käßmann betonte, sie verstehe jeden Menschen, der sich vor einem langen Leiden und grausamen Schmerzen fürchte. Tötung auf Verlangen sei jedoch ein "Irrweg", der neue Grauzonen schaffe und die "große Gefahr des Missbrauchs" in sich berge. Die Schweizer Sterbehilfeorganisation "Dignitas", die 2005 einen Ableger in Hannover gründete, betreibe "üble Geschäftemacherei" und verdiene kräftig an den Zuwendungen der Betroffenen.
[linkbox:nid=11591;title=Das Papier der EKD von 2008 zur Sterbehilfe]
"Dignitate" heißt dieser deutsche Ableger, der versucht, mit Hilfe prominenter Unterstützer die Sterbehilfe politisch zu legalisieren. Schon 2007 hatte "Dignitate" angekündigt, einem Patienten illegal Sterbehilfe zu leisten und den Fall dann zu veröffentlichen. Das ist bisher nicht geschehen, anders als im Falle des Hamburgers Roger Kusch, der einen Verein für Sterbehilfe gründete und 2008 einer 79-jährigen Frau bei ihrem Suizid assistierte. In der Werbung für seine Dienstleistung sah das Verwaltungsgericht Hamburg schließlich eine "sozial unwertige Kommerzialisierung des Sterbens", vor allem, weil der Suizid "gegen Entgelt" angeboten wurde. Nach dem Werbeverbot kündigte Kusch damals an, Sterbehilfe künftig zu unterlassen.
Die Palliativmedizin und die Hospizbewegung seien die "besten Gegenargumente gegen Tötung auf Verlangen", sagte EKD-Ratsvorsitzende Käßmann: "Wenn Menschen erfahren, dass sie schmerzfreier und begleitet in den Tod gehen können, sinkt der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe deutlich." Deshalb müssten diese Alternativen ausgebaut und in der Ausbildung von Ärzten und Pflegenden verankert werden. Die holländische Kommission führt den Rückgang der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden übrigens genau auf einen solchen Ausbau der Palliativ-Medizin zurück: "Die Mehrheit der Ärzte sah eine klare Verbindung zwischen der Verbesserung der Palliativ-Medizin und dem Rückgang der lebensbeendenden Maßnahmen durch Ärzte."