Pure Lebensfreude: Karneval mit dem Hospiz
Kostüme, Kamelle und Stimmungsmusik: Karneval macht richtig Spaß, vor allem Kindern. Das Hospiz "Arche Noah" (Gelsenkirchen) beteiligt sich daher mit einem eigenen Wagen am Umzug in Bochum-Wattenscheid.
15.02.2010
Von Maike Freund

Robin wippt vor und zurück, die schwarzen Punkte auf dem rotem Grund seines Umhangs wippen mit ihm. Als würde Robin, der Marienkäfer, sich im Sitzen im Rhythmus der Musik wiegen. Als würde er im Sitzen tanzen. Aber Robins Bewegungen sind ein Automatismus. Robin ist behindert und sitzt im Rollstuhl. Von dem bunten Treiben sieht er nichts, denn Robin ist blind. Aber er hört die "Helau-Rufe" und die Musik. Wie gut ihm das gefällt, wissen die Betreuer nicht. Denn Robin kann es nicht erzählen. Trotzdem ist er heute dabei. Auf dem Karnevalsumzug durch Bochum-Wattenscheid – auf der "Arche Noah".

Die "Arche Noah" ist eine Kurzzeiteinrichtung und ein Hospiz für behinderte und kranke Kinder und Jugendliche des Marienhospital in Gelsenkirchen. Seit 2001 betreuen die Mitarbeiter nicht nur Kinder, sondern auch ihre Familien. Manche Kinder wohnen über längere Zeit in der "Arche Noah". Andere kommen immer wieder für kurze Aufenthalte, so wie jetzt zu Karneval, so wie zum heute zum Karnevalsumzug. Elf Kinder und zwanzig Erwachsene sind heute mit dabei. Die meisten fahren mit auf dem Wagen. Drei Kinder sind in der "Arche Noah" geblieben, sie sind zu krank, der Umzug wäre zu anstrengend für sie. Also wird morgen in der "Arche Noah" noch einmal mit allen Kindern Karneval gefeiert, auf dem Flur, im Warmen und Trockenen.

Große Aufregung

Kevin läuft hin- und her. Von der rechten Brüstung zur linken und wieder zurück. Ohne Unterbrechung. Er hüpft ein wenig auf und ab: Endlich fährt Wagen los, endlich. "Watsche Helau-Rufe" werden immer lauter, dringen durch die Kälte, durch den Wind, durch den Schnee. Und der neunjährige Kevin wirft die ersten Bonbons. Eine der Zuschauerinnen hält ihm einen Hut entgegen: Er trifft. Yasemin – mit 23 Jahren die Älteste – und Malvin, der Fisch und das Schwein, waren schon heute früh nicht mehr zu beruhigen, sie waren so aufgeregt. Dabei ging mit dem Aufbau nicht alles glatt: Die Transporter kamen fast zu spät, also mussten die Kinder und Jugendlichen mit ihren Rollstühlen in kurzer Zeit zu ihren Plätzen auf dem Tieflader gebracht werden. Kevin hat genug vom Wagen, er will lieber zu Fuß weiterlaufen. Seine Füße hinterlassen kleine Abrücke im Schnee. Bevor der nächste Wagen darüber rollt.

Lena ist der Hai auf der Arche Noah. Sie sitzt rechts in ihrem Rollstuhl, zwischen Kevin und Joel. Sie ist nur zu Karneval bei der Arche Noah, ihre Eltern feiern woanders. Aber Lena scheint heute keine rechte Lust zu haben, heute scheint das bunte Treiben an ihre vorbei zu ziehen. Immer wieder sinkt ihr Kopf auf ihre Brust, vielleicht döst sie. Dabei war sie vor zwei Jahren schon beim Karnevalsumzug dabei, sie kennt das Spektakel. Damals ging die Arche Noah zum ersten Mal als Fußtruppe mit. Damals war Lena begeistert. Nur dieses Mal nicht. Joel neben ihr ist ganz zappelig. Sein Eimer ist leer, schon wieder. Er zupft Yvonne, einer der Betreuerinnen, am Ärmel. Schnell, schnell soll sie ihm neue Kamelle bringen. Joel legt den Kopf zurück und lacht, als er Hand um Hand, Bonbon um Bonbon in die Menge wirft. Manchmal trifft er dabei die Köpfe der Zuschauer. Die lachen aber nur. So wie Joel.

 

"Viva Colonia"

 

Inka und Yvonne, zwei Betreuerinnen, schwenken ihre Arme durch die Luft, halten sich mit hüpfen im Rhythmus von "Viva Colonia" warm, singen mit, lachen. Die Kinder und Jugendlichen bekommen zwischendurch Bananen, Waffeln und Tee. Denn das Mittagsessen musste heute ausfallen, um zwölf waren sie schon unterwegs zum Zug. Inka nimmt Philipps Hand und schunkelt mit ihm, winkt den Zuschauern zu. Auch Philipp lacht. Die Narren am Straßenrand winken zurück. 70.000 säumen den sechs Kilometer langen Weg des Karnevalsumzugs durch Bochum-Wattenscheid.

Dann biegt der Wagen in die Altstadt. "Die Karawane zieht weiter", weht der Wind herüber. Die Straßen sind so schmal, dass man fast mit den Händen die Häuserwände berühren kann. Menschen stehen dicht gedrängt. Rechts, im Erdgeschoss, sind zwei Fenster geöffnet. Im weißen Rahmen sitzt ein Mann, still, starr, wie verwachsen. Der Turban auf dem Kopf rot, die Haut braun, der Bart weiß. Nur die Augen bewegen sich, mustern das Treiben, verfolgen, wie Joel seine letzten Bonbons wirf. Erschrocken schaut eine Gruppe Menschen hoch, die Kamelle ist ihnen auf den Kopf gefallen. Joel lacht. "Der Sultan hät Durscht", singt die Menge mit. Dann fährt der Wagen weiter.

Die "Arche Noah" hat auch eine eigene Internetseite.


Maike Freund ist freie Journalistin und arbeitet in Dortmund.