Recht und Unrecht des Guido Westerwelle
Guido Westerwelle steht für seine Äußerungen zum Sozialstaat in der Kritik. Im Kern hat der Außenminister Recht, seine Äußerungen sind dennoch problematisch.
15.02.2010
Von Henrik Schmitz

Wenn Politiker ihre Sätze mit "Man muss in diesem Lande sagen dürfen…" einleiten, dann weiß man, dass es nun ein bisschen "pfui" wird. Denn was folgt sind oft Aussagen, die man in der Tat sagen darf, aber die man sich im Normalfall trotzdem verkneift, weil sie Debatten in der Regel verkürzen, oftmals an die niederen Instinkte im Menschen appellieren (Neid, Fremdenfeindlichkeit etc.) und Vorurteile bedienen, die dem Zusammenhalt des Landes schaden. "Man wird doch Israel kritisieren dürfen", heißt es etwa, wenn die Grenze zum Antisemitismus vielleicht sogar schon überschritten ist. Auch Thilo Sarrazin erhielt für seine Aussagen über "Kopftuchmädchen" viel "Man muss sagen dürfen"-Zustimmung.

Nun hat also auch Guido Westerwelle etwas gesagt, von dem er der Meinung ist, man müsse es in diesem Lande sagen dürfen. Wer arbeite müsse mehr haben, als jemand der nicht arbeite, lautet verkürzt ausgedrückt die Kernbotschaft des Außenministers. Nebenbei machte er bei der Debatte um Hartz-IV noch "sozialistische Züge" aus und warnte vor "spätrömischer Dekadenz".

Natürlich hat Guido Westerwelle Recht mit dem, was er sagt. Natürlich gibt es in diesem Lande Meinungsfreiheit. Und wer arbeitet, sollte auch mehr Geld bekommen als jemand, der dies nicht tut - außer er ist Rentner und Pensionär und hat bereits sein Leben lang hart gearbeitet. Und doch sind die Äußerungen Westerwelles hoch problematisch.

Sinkende Umfragewerte

Der Außenminister behauptet zwar, es gehe ihm um die Sache. Doch angesichts sinkender Umfragewerte der FDP und einer bevorstehenden Wahl in Nordrhein-Westfalen hat man eher den Eindruck, Westerwelle wolle seine Wähler, nämlich die Steuerzahler, wieder hinter seiner Partei versammeln und haue deshalb auf die Pauke.

Westerwelles Äußerungen rühren dabei an niedere Instinkte und verschärfen die Spaltung der Gesellschaft. Er schürt den bereits vorhandenen Hass auf Hartz-IV-Empfänger, die befeuert durch mediale Kampagnen dem Generalverdacht ausgesetzt sind, sie lägen den ganzen Tag faul auf dem Sofa, schauten RTL-Nachmittagsprogramm und hätten schlicht und ergreifend keinen Bock, zu arbeiten.

Westerwelles Äußerungen fallen auf fruchtbaren Boden, weil sie natürlich mit einem Bein in der Wahrheit stehen. Das in den Köpfen der Menschen herrschende Bild eines klassischen Hartz-IV-Empfängers wird dadurch gefestigt, dass in den Medien immer wieder Menschen zu Wort kommen, die dem Klischee voll entsprechen und ebenso dumm wie dreist sind. Es sind aber eben nicht alle und vielleicht nicht einmal die Mehrheit. So wie auch nicht jeder FDP wählende Anwalt oder Zahnarzt noch Geld in der Schweiz liegen hat. Westerwelle schürt den Hass, aber er bietet keine Lösungen an.

Arbeitslose Leistungsbereite

Es gibt in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen, die arbeitslos werden, obwohl sie alles dafür getan haben, dies zu verhindern. Sie haben eine Ausbildung gemacht, vielleicht sogar studiert, waren im Ausland, beherrschen mehrere Fremdsprachen und stehen dennoch auf der Straße. Müsste die Politik sich nicht eher fragen, was man dagegen tun kann, anstatt solchen Menschen "spätrömische Dekadenz" vorzuhalten und ihnen die ohnehin nicht üppigen Hartz-IV-Sätze womöglich kürzen zu wollen?

Ebenso gibt es Menschen, die in der modernen Arbeitswelt einfach nicht vermittelbar sind. Sie können nicht arbeiten, oder sie wollen nicht arbeiten. Was soll man tun? Sie verhungern lassen? Natürlich ist es nahezu unerträglich, wenn solche Leute dann bei Maischberger auf dem Sofa sitzen oder via "Bild" verkünden, sie seien stolz darauf, vom Staat zu leben. Aber solche Leute muss die Gesellschaft aushalten, alles andere hieße, die Verelendung einer breiten Masse in Kauf zu nehmen, nur um Einzelne zu treffen. Das wäre, als würde man allen Männern verbieten, nach Mitternacht das Haus zu verlassen, um Vergewaltigungen einzudämmen.

Einsatz für den Mindestlohn?

Problematisch ist auch, dass Westerwelle seine These "Wer mehr arbeitet, soll mehr haben" nur von einer Seite angeht. Wenn Menschen, die arbeiten, weniger Geld haben, als die, die es nicht tun, dann stimmt vielleicht die Bezahlung nicht mehr. (Nebenbei: Wer arbeitet, hat mindestens gleichviel, weil der Staat sein Gehalt aufstockt.) Westerwelle könnte sich also theoretisch auch für den Mindestlohn einsetzen oder für stärkere Gewerkschaften, die höhere Lohnabschlüsse erzielen. Das tut er aber nicht und ätzt stattdessen gegen die, die ohnehin wenig haben.

Er könnte auch darüber nachdenken, wie man Hartz-IV-Empfänger zur Arbeit bringt, wenn es einfach nicht genug Jobs gibt. Soll der Staat eigene Unternehmen gründen um Jobs zu schaffen? Dies würde zwangsläufig dazu führen, dass der Staat in Konkurrenz mit dem privaten Sektor treten würde, was die FDP als Verfechter der Marktwirtschaft ablehnen dürfte. Die Möglichkeit, Hartz-IV-Empfänger zu "gemeinnütziger" Arbeit zu verpflichten, gibt es über die 1-Euro-Jobs bereits. Ein Erfolgsmodell ist diese Regelung übrigens nicht.

Arbeit als Privileg

Es gäbe noch viel zu sagen zu den Äußerungen des Außenministers. Wenn er über die spricht, die den "Karren ziehen", dann stellt sich zum Beispiel die Frage, ob diese Menschen das tatsächlich als Last oder nicht vielleicht doch eher als Privileg empfinden. Und bei denen, die besonders viel verdienen, stellt sich auch die Frage, ob Bezahlung und Leistung wirklich korrelieren. Ebenso soll es ja auch Menschen geben, die feste Stellen haben, dort aber gar nichts mehr leisten und damit Stellen blockieren, die Leistungsbereite gerne hätten.

Auch über die Durchlässigkeit der Gesellschaft müsste debattiert werden, über Chancengleichheit und viele andere Dinge. Ja, es ist etwas faul in diesem Staat, vielleicht auch im Sozialstaat. Darüber müssen wir reden. Ganz in Ruhe, nicht so aufgeregt wie Guido Westerwelle und in einem Diskurs, in dem Starke und Schwache mit ihren Sichtweisen und Interessen gleichsam vertreten sind. Eine Regierung ist nämlich für die ganze Gesellschaft da, sie ist keine Partei, die Partei für Einzelinteressen ergreift. Weder allein für Hartz-IV-Empfänger (den Eindruck hat man manchmal bei der Linkspartei), noch allein für Steuerzahler.