"In Treatment", Montag, 15. Februar, 21.00 Uhr auf 3sat
Man stelle sich vor, ein Autor oder Produzent würde einem deutschen Sender ein derartiges Projekt vorschlagen: eine Serie über einen Therapeuten, in der Menschen miteinander reden; sonst nichts. Die Sitzungen würden quasi in Echtzeit gefilmt, jede der 25 Minuten langen Episoden wäre einem anderen Patienten gewidmet. Die Kamera würde die Protagonisten in langen Einstellungen mal halbnah, mal in Nahaufnahme zeigen. Die Redakteure wären entgeistert: "Das ist ja Steinzeitfernsehen!".
Experimentierfreude, die hiesigem Fernsehen abgeht
Völlig falsch lägen sie damit nicht. Produziert worden ist die Serie trotzdem, und zwar für HBO. Der amerikanische Bezahlsender ist seit Jahren für eine Experimentierfreude bekannt, die dem hiesigen Fernsehen völlig abgeht; der Erfolg von Serien wie "Die Sopranos" oder "Sex and the City" spricht für sich. "In Treatment" aber, die Adaption einer israelischen Vorlage, ist selbst für HBO-Verhältnisse mutig, denn die 43 Folgen zeigen in der Tat bloß redende Köpfe. Dass man den Darbietungen trotzdem gebannt folgt, liegt an den Schauspielern und der Konstellation: Jeden Werktag lauscht Paul Weston in seiner Praxis geduldig den Ausführungen seiner Besucher, am Ende der Woche sucht er seinerseits eine Kollegin auf, um ihr sein Herz auszuschütten. Diese Folge ist jeweils der Schlüssel zu den anderen, denn hier schildert Weston, was er von den Patienten hält. Nun erfährt man auch, dass seine eigene Ehe längst in Scherben liegt, weil sich die vernachlässigte Gattin in eine Affäre geflüchtet hat.
Mit Gabriel Byrne und Melissa George
Natürlich kann so ein Konstrukt nur dann funktionieren, wenn man bereit ist, sich derart intensiv und konzentriert auf die Schauspieler einzulassen. Herausragend ist die Leistung von Gabriel Byrne ("Miller’s Crossing"); der Ire wurde für diese Rolle mit dem "Golden Globe" ausgezeichnet. Die weiteren Darsteller sind deutlich weniger bekannt, aber nicht minder sehenswert, zumal die Serie äußerst sorgfältig synchronisiert worden ist. Zu Westons Patienten zählt unter anderem die junge Laura (Melissa George), die ihm lang und breit von ihren Beziehungsproblemen erzählt, sich aber längst in den Therapeuten verliebt hat. So genannte erotische Übertragungen sind bei Therapien nichts Ungewöhnliches, doch das unverblümte Verlangen Lauras lässt Weston keineswegs kalt. Eine Herausforderung ist auch ein Bomberpilot (Blair Underwood), der in Bagdad versehentlich eine Religionsschule bombardiert und dabei 16 Kinder getötet hat, sich seine Schuldgefühle aber nicht eingestehen will.
Rodrigo García ist Autor der Serie
Höhepunkte der Serie, die 3sat montags bis freitags in Doppelfolgen zeigt, sind Westons Besuche bei Gina, seiner früheren Mentorin und Supervisorin, zu der er allerdings ein zwiespältiges Verhältnis hat. Dianne Wiest, bekannt geworden durch mehrere Filme von Woody Allen (sie bekam einen "Oscar" für "Hannah und ihre Schwestern"), wurde für diese Rolle mit dem amerikanischen Fernsehpreis "Emmy" ausgezeichnet. Geschrieben und inszeniert wurde "In Treatment" von Rodrigo García, dem ältesten Sohn des Schriftstellers Gabriel García Marquez.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).