Dunkle Geschäfte mit dem Zucker
Obwohl das weiße, kristalline Pulver kein Rauschgift ist, hält es in ganz Europa Polizisten, Zollfahnder und Staatsanwälte auf Trab. Die Rede ist von Zucker. Von 2005 bis 2008 gab es bei mindestens 67 Millionen Euro der ausgezahlten Zucker-Subventionen Unregelmäßigkeiten, wie das EU-Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) schätzt. Die Ermittlungen laufen immer noch, obwohl die Subvention seit mehr als einem Jahr ausgesetzt ist. Gleich in zwei Fällen führen Spuren nach Deutschland.
11.02.2010
Von Lars-Marten Nagel

In Belgien stießen Ermittler vor ungefähr zwei Jahren auf ungewöhnliche Touren von Tankwagen, in denen Zucker in flüssiger Form transportiert wurde. Die Laster fuhren erst nach Kaliningrad, eine russische Stadt an der Ostsee, weiter nach Kroatien und zurück. Das "Mysterium des europäischen Zucker-Dreiecks", wie es die "New York Times" nannte, brachte die Fahnder auf die Spur. Wäre der Zucker direkt nach Kroatien geliefert worden, hätte kein Anspruch auf Exportbeihilfen bestanden, beim Umweg schon.

Rund zweihundert solcher Fuhren sollen dem Zuckerhersteller Beneo-Orafti, einer Tochter der deutschen Südzucker AG, drei Millionen Euro eingebracht haben. Das Unternehmen äußert sich nicht zu den Ermittlungen. Südzucker zählt mit einem Jahresumsatz von fast sechs Milliarden Euro zu den größten Zuckerproduzenten in Europa ­ und zu den größten Subventionsempfängern. 2008 erhielt die Gruppe mehr als 124 Millionen Euro aus Brüssel.

Kriminelle nutzen Preisgefälle zwischen Welt- und EU-Markt

Insgesamt 34 ähnliche Verdachtsfälle haben die Mitgliedstaaten allein 2008 nach Brüssel gemeldet, sagt OLAF-Sprecher Jörg Wojahn. Experten sehen darin nur die Spitze des Eisbergs. In ganz Europa sollen Betrüger die Exporterstattungen für Zucker angezapft haben. Mit dieser Form der Landwirtschaftssubvention förderte die EU bis Oktober 2008 die Ausfuhr von Zucker. Insgesamt 3,2 Milliarden Euro wurden in den vier Jahren von 2005 bis 2008 ausgezahlt.

"Leer- oder Phantomexporte sind lukrativ, weil nur Papiere gefälscht werden müssen. Außerdem gibt es Karussellgeschäfte und Schmuggel", sagt Stephan Nolte, Experte für Zuckerhandel an der Universität Gent. Kriminelle nutzen dabei das Preisgefälle zwischen Welt- und EU-Markt. Hinter einer Zollbarriere wurde Zucker in der EU zeitweise für das Dreifache des Weltmarktpreises gehandelt.

Die Masche der Subventionsbetrüger

Mit den Subventionen, Quoten und Zöllen garantiert die EU den heimischen Zuckerproduzenten den Preis von mindestens 404 Euro je Tonne. Sie stützt Bauern und -fabriken, weil deren Zucker international nicht konkurrenzfähig wäre. Andere Länder wie Brasilien produzieren billiger, können aber aufgrund der Zölle nicht gewinnbringend in die EU verkaufen. Die Exporterstattungen sorgten hingegen dafür, dass der teuere europäische Zucker auch auf dem Weltmarkt gehandelt werden konnte: Die EU glich den Preisunterschied aus.

Einige der ärmsten Länder und die Balkanstaaten waren aber zollbefreit. Dorthin importierten Betrüger billigen brasilianischen Rohrzucker, packten ihn um oder mischten ihn mit heimischem Zucker und verkauften ihn zum höheren Preis in die EU. Allein in Griechenland gerieten dreißig Händler ins Visier der Fahnder, die solche Geschäfte mit gemischtem Zucker gemacht haben sollen. Wie die "New York Times" berichtete, gab es Anklagen und Verurteilungen.

Auch einer der mutmaßlich größten Betrugsfälle soll in Deutschland gespielt haben. In Hamburg arbeiten sich zurzeit Ermittler durch 500 Umzugskartons mit Unterlagen, die sie bei einer Großrazzia im Sommer sichergestellt hatten. Ihr Verdacht: Leitende Angestellte von Zuckerherstellern und -­händlern sollen zwischen 2000 und 2006 dafür gesorgt haben, dass im Hafen einheimischer Zucker mit Importzucker aus Drittländern gemischt wird, um beim Export zusätzliche Subventionen zu kassieren. Wilhelm Möllers, Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, beziffert den Schaden auf 370 Millionen Euro.

Ob und wann die Ermittlungen zu einer Anklage führen, sei zurzeit nicht abschätzbar, sagt Möllers. Ermittelt wird unter anderem gegen das Agrarhandelshaus August Töpfer & Co., das in den Jahren 2003 bis 2005 rund 115 Millionen Euro an Ausfuhrerstattungen erhalten hatte. Die Zahlungen seien alle rechtens gewesen, sagt Rechtsanwalt Klaus Landry, der das Familienunternehmen vertritt. Eine frühere Betriebsprüfung habe "keine Hinweise auf Zucker aus Drittländern im Silo gefunden."

"Fälle in der rechtlichen Grauzone"

Insgesamt tut sich die EU schwer damit, Subventionsbetrüger zur Verantwortung zu ziehen. Die Strafverfolgung liegt bei den lokalen Behörden und der Betrug ist oft kaum nachzuweisen. Zudem macht es der Subventionsdschungel den Betrügern leicht. "Es gibt Fälle in der rechtlichen Grauzone", sagt Wojahn. "Händler mischen Zucker aus Drittstaaten mit Teeblättern oder Kakao und führen ihn dann ein ­ getarnt als sehr süßer Tee oder Kakao."

Im Oktober 2008 stellte die EU die Zahlung der Exporterstattungen für Zucker vorläufig ein. Grund dafür waren nicht die Betrügereien, sondern dass die EU-Produktion gesenkt werden sollte. Den Produzenten versüßte die EU zugleich den Abbau mit einer neuen Subvention: Aus einem Restrukturierungsfonds flossen rund 1,3 Milliarden Euro.

dpa