Insbesondere das Sozialgeld für Kinder beruhe auf einer "freihändigen Setzung ohne empirische und methodische Fundierung", befand das Gericht unter Vorsitz seines Präsidenten Hans-Jürgen Papier. Das ist sehr nah am Vorwurf der Willkür. Schulbücher, Schulhefte und Taschenrechner gehören zum "existenziellen Bedarf" eines Kindes, schreiben die Richter der Politik auf die Agenda: "Denn ohne Deckung dieser Kosten droht hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen."
Fünf Jahre lang leben rund 1,7 Millionen Kinder nun schon von Hartz-IV-Leistungen, deren "Festlegung auf keiner vertretbaren Methode zur Bestimmung des Existenzminimums eines Kindes beruht", so die Richter. Bildung etwa kommt als Ausgabenposten im Hartz-IV-Regelsatz nicht vor, Windeln ebensowenig.
Der Kinder- oder Jugend-Regelsatz ist heute ein Anteil von 60, 70 oder 80 Prozent des Regelsatzes für einen alleinstehenden Erwachsenen, der Anspruch auf monatlich 359 Euro hat. Bis Ende des Jahres hat der Gesetzgeber nun Zeit, das zu ändern. Das ist wenig und zeigt, wie unzufrieden das Bundesverfassungsgericht ist. Immer wieder muss in Deutschland das höchste Gericht die Politik zum Handeln zwingen.
Hartz IV hat bei Bildung die größte Schwäche
Von all den Politikern, die das Urteil, kaum das es gesprochen war, vielstimmig begrüßten, hat keiner in den vergangenen fünf Jahren ernsthafte Anstrengungen unternommen, dem aus Sicht von Wohlfahrtsverbänden offenkundigem Miss-Stand abzuhelfen: dass Kinder sozial schwacher Eltern arme und dumme Kinder bleiben sollen.
Das Verfassungsgericht bestätigt den Vorwurf: Das Hartz-IV-Existenzminimum, das den hilfebedürftigen Kindern bisher zugestanden wird, zeigt beim Thema Bildung die entscheidende Schwäche: Der Sozialstaat verweigert seinen schwächsten Gliedern Lebenschancen. Das Gericht hat nicht über die Höhe der Zahlungen befunden, sondern über die Realitätsferne ihrer Berechnung und die Verletzung der Würde von Kindern, die sich nicht entfalten können.
In Familien, die von Hartz-IV-Leistungen leben, ist der Zugang zu Bildung ein enges Nadelöhr. Es fehlt das Geld für Bücher, für Taschenrechner, für Computer-Lernprogramme, für Gebühren von Leihbibliotheken, für eine Nachhilfestunde, den Schulausflug. Die 100 Euro extra pro Jahr, die die große Koalition für Schüler einführte - und zunächst nur bis zum Realschulabschluss gewährte - mögen in den Familien eine Hilfe sein.
Was nun, Regierung? Die Spielräume sind eng
Im Urteil der Richter sind sie die Fortsetzung des verfassungswidrigen Umgangs mit dem Existenzminimum von Kindern: "Der Gesetzgeber hat den notwendigen Schulbedarf eines Kindes nicht ermittelt", so das Gericht: "Der Betrag von 100 Euro pro Schuljahr wurde offensichtlich freihändig geschätzt."
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), aus deren Ministerium die bisherigen Regelsätze stammen und unter deren Führung die Vorgaben des Gerichts nun umgesetzt werden müssen, sprach von einem "bahnbrechenden Urteil" und einem Sieg für die Bildung der Kinder. Das Kinderhilfswerk UNICEF, das die schlechten Bildungschancen für sozial schwache Kinder in Deutschland immer wieder angeprangert hat, sprach von einem wichtigen Schritt zu einer kindgerechten Gesellschaft.
Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Schritt getan. Wie groß der Schritt der Bundesregierung ausfallen wird, ist offen. Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger hat direkt nach dem Urteil klargestellt, dass eine Erhöhung der Regelsätze für Kinder nur soviel kosten soll, dass für die geplanten Steuersenkungen noch Luft ist.