Etwas fast Unglaubliches geschieht zurzeit in der Protestantischen Kirche der Niederlande (PKN). Klaas Hendrikse, Pfarrer des Hafenstädtchens Zierikzee, verkündet von der Kanzel herab, Gott gebe es nicht. Und zwar schon seit geraumer Zeit. Mittlerweile hat er auch ein Buch über seine Ansichten geschrieben. Es trägt den Titel "Glauben an einen Gott, den es nicht gibt." Klar, dass viele seiner Gemeindemitglieder sich beschwert haben.
Irgendwie auch klar, dass die PKN sich mit dem Fall beschäftigt und darüber nachdenkt, ob ein Pfarrer, der so offen gegen die Grundsätze seiner Kirche spricht, weiter in ihren Diensten stehen kann. Überraschend allerdings ist das Urteil, zu dem sich die Kirche nun durchgerungen hat: Pfarrer Hendrikse kann. Es taste die Fundamente der Kirche nicht an, wenn einer ihrer Pfarrer die Existenz Gottes leugne. Das stellt vor die Frage: Was muss ein Pfarrer eigentlich glauben?
Mose hält den Lauf der Sonne an
"An die Bibel", könnte eine spontane Reaktion lauten, doch das ist schwierig. An ein Buch kann man schlecht glauben. Eher schon glaubt man dem, was darin steht. Aber dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde? Mose mit seinen Armen den Lauf der Sonne anhielt? Die Mauern von Jericho von Posaunen zum Einsturz gebracht wurden? Die wenigsten Pfarrer glauben das in einem wörtlich-wissenschaftlichen Sinne, auch nicht hierzulande. Und das ist auch gut so. Schließlich sollten sich Glaube und Wissenschaft im besten Fall nicht gegenseitig ausschließen.
Die Bibel als Ganzes eignet sich jedenfalls nicht besonders, um Gegenstand unverbrüchlichen Glaubens zu sein. Dann vielleicht die Glaubensbekenntnisse? So, wie es im Apostolischen Bekenntnis heißt: "Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde…". In diesem Text, der in jedem evangelischen Gottesdienst gesprochen wird, konzentrieren sich die Kerninhalte des Glaubens. Aber selbst die sind nicht unproblematisch. Schließlich heißt es dort auch: "Geboren von der Jungfrau Maria …" – und wer kann das schon heute noch glauben, das mit der Jungfrauengeburt.
Der Fall Paul Schulz
In den deutschen evangelischen Landeskirchen ist man sich jedenfalls einig: Es gibt einen Mindeststandard des Glaubens. Und der zeigt sich dort, wo jemand dagegen verstößt. Anders als in Holland wurden hierzulande durchaus schon Pfarrer von ihrer Kirche belangt, wenn sie Dinge vertraten, die mit den kirchlichen Grundsätzen nicht vereinbar waren. Der bekannteste Fall ist wahrscheinlich der von Paul Schulz Ende der 1970er Jahre. Er wurde nach einem mehrjährigen Lehrbeanstandungsverfahren vom kirchlichen Dienst suspendiert, weil er unter anderem behauptet hatte, Gott gebe es nicht.
In einem ähnlichen Fall wurde Gerd Lüdemann, der als Professor für Neues Testament in Göttingen lehrte, Jesus sei nicht auferstanden, die Lehrerlaubnis entzogen. Die Folge war, dass sein Lehrstuhl anschließend nicht mehr an der theologischen Fakultät angesiedelt war und in "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" umbenannt wurde. Als Pfarrer ordiniert war Lüdemann ohnehin nie, so dass ihm dieses Recht auch nicht entzogen werden konnte. Die Pfarrerin Jutta Voss, die in ihrem Buch "Das Schwarzmond-Tabu" Parallelen zwischen dem Abendmahl und einem mystischen Menstruations-Kultus zieht, kam nach innerkirchlicher Kritik einer Verurteilung zuvor, indem sie 1993 freiwillig alle Ordinationsrechte niederlegte.
Persönlicher Glaube interessiert nicht
Wer bei den Verfahren Parallelen zur katholischen Inquisition sieht, der irrt. Denn für den persönlichen Glauben ihrer Geistlichen interessiert sich die Kirche in Wirklichkeit gar nicht. Sie legt aber Wert darauf, dass die Verkündigung mit der kirchlichen Grundbotschaft übereinstimmt. So gesehen könnte man als Pfarrer also problemlos Atheist sein, solange man den Atheismus nicht von der Kanzel herab predigt. Nicht auszuschließen, dass es tatsächlich viele Pastoren gibt, die schon lange nicht mehr an Gott glauben, sich aber nicht offenbaren. Und das aus gutem Grund.
In den drei genannten Fällen ist die wirtschaftliche Grundlage der Personen weiterhin gut gesichert. Schulz arbeitet als Referent, Lüdemann war weiter als Professor tätig, Voss ist mittlerweile zugelassene Psychoanalytikerin. Wirtschaftlich abgesichert zu sein, hilft einem nicht-gläubigen Pfarrer unter Umständen sogar, sich zu offenbaren. Denn was passiert eigentlich mit einem "ganz normalen" vom Glauben abgefallener Pfarrer, einer "ganz normalen" zur Atheistin gewordene Pfarrerin? Personen im Kirchendienst zahlen als Beamte in keinerlei staatliche Sozialversicherung ein. Arbeitslosengeld würden sie also nicht erhalten. Scheiden sie aus dem Kirchendienst aus, verlieren sie auch jegliche Ansprüche auf Renten und Unterhalt seitens der Kirche.Sie stünden mit leeren Händen da.
Die Fundamente der Kirche
Wie groß mag die Dunkelziffer derer sein, die von der Kanzel herab das Evangelium verkünden, obwohl sie in Wirklichkeit schon längst nicht mehr an Gott glauben? Wie viele Geistliche würden sich in Deutschland, wenn sie es sich nur leisten können, genau wie Pfarrer Hendrikse aus Zierikzee outen? Das Argument der PKN, ihren Gott leugnenden Pfarrer nicht seines Amtes zu entheben, ist übrigens schlicht und bestechend zugleich: Eine Kirche müsse eine solche Meinung auch aus ihren Reihen ertragen; dies sei ein Teil der theologischen Debatte und taste die Fundamente der Kirche nicht an.
Über diese Haltung zeigt sich selbst Hendrikse verwundert – was sonst könnte denn die Fundamente der Kirche antasten als die Behauptung, Gott gebe es nicht? Andererseits spricht aus dieser Gelassenheit vielleicht auch ein unglaubliches Vertrauen der Kirche in ihren eigenen Grund. "Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus", schreibt Paulus in 1. Korinther 3,11 jeder Kirche ins Stammbuch. Und dieser Christus bleibt wohl als Grund auch bestehen, wenn mal einer nicht an ihn und seinen Vater glaubt.
Ingo Schütz ist Diplom-Theologe und Vikar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Er absolviert ein Spezialpraktikum bei chrismon und evangelisch.de. Mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter Helene wohnt er in einem kleinen Ort im Taunus.