Hartz IV: "Man kann die Kinder ja nicht verkommen lassen"
Am Dienstag entscheiden die Verfassungsrichter in Karlsruhe, wieviel Geld Kindern von Hartz-IV-Empfängern im Monat zusteht. Das Urteil wird mit Spannung erwartet, geht es doch immerhin um 1,7 Millionen betroffene Kinder. Und um Milliardenkosten für den Staat. Drei Familien kämpfen seit Jahren gegen die aktuellen Sätze.

Seit fast fünf Jahren kämpfen drei Hartz-IV-Familien aus Dortmund, dem bayrischen Landkreis Lindau und dem nordhessischen Eschwege vor Gericht für höhere Regelsätze für ihre Kinder. 207 Euro im Monat sind zu wenig, klagen sie. Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob das Hartz-IV-Gesetz gegen das Grundgesetz verstößt - mit Folgen für 1,7 Millionen Kinder, die Hartz IV beziehen.

Die drei klagenden Familien erklären übereinstimmend, dass die Leistungen "vorne und hinten nicht reichen". Kinder unter 14 Jahren erhielten im Jahr 2005 60 Prozent des Hartz-IV-Satzes eines alleinstehenden Erwachsenen - monatlich 207 Euro. Der pauschale Betrag von 60 Prozent sei vollkommen willkürlich gewählt, der eigentliche Bedarf eines Kindes könne damit nicht gedeckt werden, argumentierten die Kläger.

Das sahen das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel und das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt genauso. Sie legten das Hartz-IV-Gesetz Karlsruhe zur Prüfung vor. Die Darmstädter Richter befanden, damit werde nicht einmal das Existenzminimum gedeckt. Das BSG monierte, dass der Gesetzgeber erst gar nicht ermittelt habe, was ein Kind zum Leben braucht.

Auch liege eine Ungleichbehandlung vor, da Kinder von arbeitslosen, aber erwerbsfähigen Eltern mit Hartz IV auskommen müssten, während Kinder, von erwerbsunfähigen Eltern - also Sozialhilfeempfängern - zusätzlich zu ihren Sozialhilfeleistungen einen Mehrbedarf geltend machen können. "Die Kinder können doch nichts dafür, ob ihre Eltern erwerbsfähig sind oder nicht", sagt Max Eppelein, Justiziar beim DGB-Rechtsschutz, der die Familie aus Lindau vor dem BSG vertreten hat.

Anwalt gegen Pauschalisierung

"Meine drei Jungs wachsen wie die Spargel", sagt der Vater der Familie. Da werde oft neue Kleidung gebraucht. Mehr Geld für zu klein gewordene Schuhe gebe es aber trotzdem nicht. Da müssten dann die Eltern bei sich selbst noch mehr sparen. "Man kann die Kinder ja nicht verkommen lassen", so der Vater. Martin Reucher, der Anwalt der Dortmunder Familie, wendet sich gegen die strikte Pauschalierung. Denn die Pauschalen gingen immer von Durchschnittswerten aus. "Was ist, wenn man nicht mehr durchschnittlich ist und die Kinder besonders schnell wachsen oder Medikamente brauchen", fragt er.

Verfassungswidrig sei auch, dass 2005 kein Unterschied zwischen dem Bedarf von Kleinkindern und älteren Kindern gemacht wurde. Die Bundesregierung besserte schließlich nach. Seit 1. Juli 2009 erhalten Sechs- bis einschließlich 13-Jährige nicht mehr 60 Prozent, sondern 70 Prozent des Eckregelsatzes, also statt 215 insgesamt 251 Euro. Diese Regelung ist allerdings bis Ende 2011 befristet. Außerdem erhalten Schulkinder seit Sommer 2009 monatlich 8,33 Euro zusätzlich ausgezahlt.

Selbst bei einem Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht ist noch nicht klar, ob die Kläger eine Nachzahlung erhalten. "Entscheidet das Gericht, dass den Familien rückwirkend Geld zusteht, erhalten sie es auch. Setzen die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber aber nur eine Frist, bis wann er das Gesetz korrigiert haben muss, wird es für die Kläger keine Nachzahlung geben", sagt Eppelein.

Gewerkschaften gegen Verordnungsweg

Die Kläger wissen die Gewerkschaften an ihrer Seite. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte, die Leistungen für Kinder zu erhöhen. "Die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder müssen angehoben und eigenständig ermittelt werden", sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der "Passauer Neuen Presse": "Um zu einem transparenten Verfahren und zu wirklich bedarfsdeckenden Sätzen zu kommen, sollte eine unabhängige Kommission Vorschläge zur Neufestsetzung machen." Die Entscheidung über die Höhe der Sätze dürfe nicht länger auf dem bürokratischen Verordnungswege getroffen werden.

Kinder seien nicht einfach "kleine Erwachsene, die mit einem willkürlich festgelegten Prozentsatz vom Regelsatz eines Alleinstehenden abgespeist werden dürfen". Heranwachsende würden zum Beispiel Geld für Bücher, Computer, Turnschuhe und Klassenreisen benötigen. Buntenbach: "Wenn Kinder aus Hartz-IV-Familien nicht abgehängt und stigmatisiert werden sollen, muss ihr Bedarf für Bildung und soziale Teilhabe endlich stärker berücksichtigt werden."

Die jährliche Regelsatzanpassung dürfe nicht länger hinter der Preissteigerung zurückbleiben, forderte Buntenbach außerdem: "In den letzten Jahren ist der Regelsatz allein durch die nicht ausgeglichene Inflationsrate praktisch gesenkt worden."

Empfänger bemühen sich um Arbeit

Fast alle Hartz-IV-Empfänger bemühen sich einer Studie zufolge zudem ernsthaft um Arbeit. Von den Langzeitarbeitslosen unter 56 Jahren stünden 90 Prozent für eine Beschäftigung zur Verfügung, berichtete die "Frankfurter Rundschau" (Montagsausgabe) unter Berufung auf eine noch unveröffentliche Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

"Das Problem ist nicht die Arbeitsmoral", fassen die Ökonomen ihre Ergebnisse zusammen. Nur bei den Älteren sinke die Bereitschaft dramatisch, offenbar weil sie keine berufliche Perspektive mehr für sich sähen. Von den 56-Jährigen und Älteren erklärten 42 Prozent, keine Stelle mehr antreten zu wollen.

Die Hartz-Reformen hätten anders als von der Politik erhofft nicht zu einer höheren Arbeitsbereitschaft geführt, stellt das Wirtschaftsinstitut fest. Das liege daran, dass die Motivation schon vor der Reform "offenkundig kaum steigerungsfähig" gewesen sei, was insbesondere für die neuen Bundesländer gelte, wo noch weniger Erwerbslose auf einen Job verzichten würden als im Westen. Die Daten beruhen auf Auswertungen einer repräsentativen Wiederholungsbefragung in mehr als 12.000 Privathaushalten.

epd