Das moralische Dilemma investigativer Journalisten
Die Frage, ob der Staat Daten über mögliche Steuersünder kaufen darf, wird heiß diskutiert. Es ist eine moralische Frage, die sich investigativen Journalisten regelmäßig stellt.
08.02.2010
Von Henrik Schmitz

Es ist ein moralisches Dilemma. Der Staat ist Steuerhinterziehern gegenüber weitgehend hilflos. So lange es Länder und Banken gibt, die sich weigern, Daten ihrer Kunden an die Finanzämter weiterzuleiten, gibt es kaum eine Möglichkeit, Steuerhinterziehung nachzuweisen und zu ahnden. Der Ankauf einer Daten-CD ist eine der wenigen Möglichkeiten für den Staat überhaupt, an das Geld zu kommen, das ihm zusteht.

Er zahlt dafür einen hohen, vielleicht sogar zu hohen Preis. Gemeint sind nicht die 2,5 Millionen Euro, die angesichts von 400 Millionen Euro, die aufgrund der Daten eingenommen werden können, gut investiert sind. Es ist der Preis der moralischen Integrität, die der Staat zahlt. Die Daten-CD ist illegal zustande gekommen. Wer mal eben Kundendaten seines Arbeitgebers vom Rechner zieht, um damit Kasse zu machen, hat eine hohe kriminelle Energie. Sich auf einen Deal mit einem solchen Menschen einzulassen, ist fragwürdig.

Der "Scheckbuchjournalismus"

Auch in den Medien ist das moralische Dilemma, im dem sich der Staat befindet, umfassend diskutiert worden. Worüber kaum ein Journalist schrieb, ist aber, dass gerade die investigativen Kollegen sich oft im selben Dilemma befinden wie aktuell die Bundesregierung.

Zwar redet kaum jemand offen über den "Scheckbuchjournalismus". Es gibt ihn aber. "Richtig ist, dass für die Veröffentlichung einiger Skandale in Deutschland Geld geflossen ist", sagt Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). Der investigative Journalist, der Mülltonnen nach verwertbarem Material durchsucht, Menschen observiert und sich in irgendwelchen Garagen mit Informanten trifft, die Spitznamen wie "Deep Throat" tragen, ist ein Mythos oder bestenfalls eine Ausnahme. Und selten ist es so, dass einem Journalisten eine Sache "spanisch vorkommt", er sich dann ans Telefon klemmt, Menschen befragt, Akten durchwühlt und am Ende eine große Story präsentiert. Die wirklich großen Enthüllungen in den Medien gehen auf Tippgeber zurück. Und auch diese haben so ihre Motive.

Geld ist eines davon. Investigative Geschichten sind viel wert. Sie mehren nicht nur den Ruhm des Journalisten, der die Geschichte aufschreibt, sondern auch das Ansehen des entsprechenden Mediums und vor allem: Auflage und Quote. Letzteres ist wiederum die Basis für Einnahmen durch Abonnenten und Werbung. Es gibt also einen Markt für exklusive Informationen und die verschiedenen Medien sind durchaus bereit, Geld für gute Geschichten auszugeben. Sie liefern sich zum Teil sogar einen Bieterwettbewerb.

Arbeitsbedingungen bei großen Medien

Dass die großen Enthüllungen vor allem in den großen Medien erscheinen, hat nicht nur damit zutun, dass dort die besten Journalisten arbeiten, sondern auch mit deren Arbeitsbedingungen. Dazu gehört – wenn auch nur zum kleinen Teil -, dass für gute Infos auch mal etwas Geld über den Tisch geschoben werden kann. Wer Material in die Finger bekommt, mit dem sich ein schneller Euro machen lässt, kann schon mal in Versuchung geraten. Da Journalisten ihre Quellen mit Verweis auf den Informantenschutz selbst dann nicht preisgeben müssen, wenn das Material illegal zustande gekommen ist, ist ein kleiner Geheimnisverrat an Journalisten sogar einigermaßen gefahrlos – auch wenn die zunehmende Neugier des Staates etwa durch Bespitzelungen und Vorratsdatenspeicherung es Journalisten und Informanten schwerer machen.

Wie so etwas im Prinzip abläuft, ist unter anderem im sogenannten Schäfer-Bericht über die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst nachzulesen, auch wenn der Bericht mit Vorsicht zu genießen ist. So heißt es etwa in dem Dokument, das streckenweise Zitate von BND-Spitzeln wiedergibt, der "Spiegel" habe 60.000 Mark an einen Informanten zum Thema Plutoniumschmuggel gezahlt, was das Magazin beziehungsweise dessen ehemaliger Chefredakteur Stefan Aust hingegen bestreitet. Aber abgesehen vom Wahrheitsgehalt der im Bericht aufgeführten Einzelbeispiele liefert das Dokument doch zumindest einen Einblick darüber, wie das System funktioniert. Journalisten dealen mit heißer Ware.

Zwielichtige Gestalten

Und natürlich sind es auch zwielichtige Gestalten, mit denen sich Journalisten einlassen. Informanten verfolgen oft eigene Ziele und handeln manchmal illegal und oft unmoralisch. Sie sind zum Beispiel scharf auf den Job des Vorgesetzten und leiten dessen falsche Dienstreisekostenabrechnungen deshalb an "interessierte Stellen" weiter. Rache ist ein weiteres Motiv. Es soll schon gehörnte Ehepartner gegeben haben, die Papiere in Umlauf brachten, die den oder die Ex in Schwierigkeiten gebracht haben. Besonders gute Quellen sind Juristen. Es gibt Staatsanwälte, die über das schleppende Fortkommen ihrer Ermittlungen frustriert sind, und Journalisten deshalb unter Umgehung des Dienstgeheimnisses Hinweise zu brisanten Fällen geben. Es können auch Anwälte sein, die sich in einem Prozess einen Vorteil erhoffen, wenn sie Informationen an die Medien geben und damit Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen.

Investigativer Journalismus ist ein Metier, in dem kein Handschuh weiß bleibt. Es ist die Aufgabe der Medien, Skandale aufzudecken. Dies gelingt oft aber nur, indem mit Material hantiert wird, das illegal zustande gekommen ist oder indem Menschen bezahlt werden, die eher niedere Motive haben und denen Werte wie Gerechtigkeit und Demokratie nicht ganz so wichtig sind wie der eigene Geldbeutel. Der Journalist muss mit diesem Dilemma leben und kann sich wie aktuell vielleicht auch die Bundesregierung darauf berufen, im Sinne einer höheren Sache zu handeln und das kleinere Übel zu wählen. Er zahlt jemandem Geld, der unrecht handelt, deckt aber einen Skandal auf und stärkt damit die Demokratie und die Gesellschaft. Im Idealfall jedenfalls.

Harte Arbeit

Wohlgemerkt, investigativer Journalismus ist nicht automatisch moralisch fragwürdig oder eine Frage des Geldes, sondern zunächst einmal das Ergebnis harter Arbeit. Es gibt auch legale Quellen. Es gibt Journalisten, die jahrelang gute Kontakte und Vertrauen aufgebaut haben und so an ihre Geschichten kommen ohne Geld zu zahlen. Es gibt auch Informanten, deren "niederes Motiv" im schlimmsten Fall die eigene Eitelkeit ist, eine Geschichte in ein wichtiges Medium gebracht zu haben. Und immer gibt es auch Menschen, die einfach Skrupel haben, Dinge zu decken, die ihren moralischen Werten widersprechen und sich deshalb an die Presse wenden.

Die Gefahren des Scheckbuchjournalismus bestehen unabhängig davon und sind nicht nur moralischer Natur. "Im schlimmsten Fall geht die gründliche Recherche verloren und werden die angekauften Informationen 'hochgedreht', um so die Ausgaben zu rechtfertigen", sagt DJV-Sprecher Zörner. Zugleich betont er, beim sogenannten Scheckbuchjournalismus handele es sich um Einzelfälle. "Der Scheckbuchjournalismus hat sich in Deutschland bisher nicht durchgesetzt."


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur