Leiter des Canisius-Kollegs beklagt "Vertuschung"
Der Leiter der Jesuitenschule Canisius-Kolleg, Klaus Mertes, will im Skandal um Schülermissbrauch die jahrelange Geheimhaltung stärker in den Mittelpunkt rücken. "Das Problem ist, dass sich die öffentliche Debatte schnell zuspitzt auf die Täter und dadurch der zweite Aspekt des Missbrauchs überhaupt gar nicht in den Blick kommt", sagte er in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die Frage sei doch, warum vertuscht werde. "Doch nicht, weil die Vertuscher pädophil sind!", betonte er. "Weil das vertuschende System Interessen hat und Ängste."

Mertes hatte im Januar Fälle von sexuellem Missbrauch im renommierten Canisius-Kolleg öffentlich gemacht. Demnach wurden zwischen 1975 und 1983 Schüler systematisch von drei Patres missbraucht. Die namentlich bekannten Täter sind nicht mehr an dem privaten Gymnasium tätig und haben den Jesuitenorden bereits Ende der 80er verlassen. Mertes hatte allen ehemaligen Schülerinnen und Schüler der fraglichen Jahrgänge geschrieben, um die Aufklärung voranzutreiben und sich im Namen der Schule bei den Opfern zu entschuldigen.

Briefe von Opfern blieben unbeantwortet

"Die große Schuld, die die Institution auf sich geladen hat, ist, dass sie nicht genauer hingeschaut hat, als sie etwas davon hörte", sagte Mertes. Mehrere Opfer hätten bereits 1981 einen Brief an die Kirche geschrieben, der unbeantwortet geblieben sei. Dabei sei es um Missbrauchsfälle in Berlin, aber auch in Göttingen gegangen. Es gehe jetzt darum, dass die Opfer gehört würden. Er bekomme zwar sehr viel Unterstützung von Seiten der Kirche, aber es sei klar, dass eine solche Sache riesige Angst auslöse.

Ein Ursache für Übergriffe könne auch die große Verbundenheit gewesen sein, die zwischen den Familien der Schüler und der Patres gegeben habe. Mich hat vor allem der Satz "Wir sind eine Familie" gestört, sagte Mertes. "Schule ist keine Familie. Schule ist eine Institution mit einem begrenzten Auftrag. Punkt." Je mehr die Politik davon ausgehe, Schule sei das Leben, und das Leben in die Schule hineinhole, desto mehr werde die Schule tendenziell wieder anfällig für totalitäre Substrukturen in der Kommunikation. "Ich sehe da einen gefährlichen Trend wiederkommen", warnte der Schulleiter.

Einschnitt für Jesuiten in Deutschland

Zwar habe sich der Orden der Jesuiten in den vergangenen Jahren stark reformiert. Der Missbrauch-Skandal werde aber auf jeden Fall ein Einschnitt in die Geschichte der Jesuiten in Deutschland bedeuten, betonte Mertes. Allein schon, wenn man bedenke, was das für die Beziehung der Mitbrüder untereinander bedeute. "Ich werde mich auch nicht mit Fingerzeigen von meinem Mitbruder distanzieren, auch wenn er Täter geworden ist", sagte der Jesuit. "Die Taten sind verabscheuungswürdig, aber ich stehe neben ihm, er gehört zu mir."

epd