Ende 2007 gab es eine Bundesratsinitiative für einen eigenständigen Regelsatz für Kinder und Jugendliche, angeschoben von dem auf Hartz-IV-Kritik abonnierten nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU). Die SPD fordert seit 2007 einen eigenen Kinder-Regelsatz. Die Grünen, die Linkspartei und die Kinderkommission des Bundestages setzen auf eine Kindergrundsicherung. Die Wohlfahrtsverbände prangern seit Jahren die wachsende Kinderarmut an, legen eigene Berechnungen vor und verlangen eine kräftige Anhebung der Sozialleistungen für Kinder.
"Ein solcher Schritt braucht politischen Mut", sagt Barbara König, die Geschäftsführerin des Zukunftsforums Familie, in dem zahlreiche Familienverbände zusammengeschlossen sind. Daran aber hat es immer gefehlt. Deshalb entscheiden nun die Verfassungsrichter. Das Urteil könnte zur Folge haben, dass die Hartz-IV-Leistungen - zumindest für Kinder - steigen müssen.
Wurzel des Problems
Keine Regierung hat sich bisher an die Wurzel des Problems gewagt: die willkürliche und fragwürdige Berechnung der Kinderregelsätze. Bis Juli 2009 gab es für Kinder bis 14 Jahre 60 Prozent des Regelsatzes für einen Erwachsenen, für Jugendliche gab es 80 Prozent. Im Sommer 2009 wurde eine weitere Stufe eingeführt: 70 Prozent für Kinder von sechs bis unter 14 Jahre. Diese Erhöhung des Regelsatzes für Schulkinder wurde im Rahmen des Konjunkturpakets II als Wohltat für Familien verkauft.
Dabei nahm die damalige Bundesregierung nur Druck aus dem Kessel: Der Satz für die mittlere Altersgruppe war erst mit der Einführung von Hartz IV gesenkt worden. Jetzt herrschen in etwa wieder die Verhältnisse aus der früheren Sozialhilfe, parallel zu den Regelungen des Unterhaltsrechts.
In Frage steht in Karlsruhe aber nicht nur die Höhe der Kinder-Regelsätze von derzeit 215, 251 und 287 Euro im Monat. Vielmehr befassen sich die Richter auch mit der vielfach kritisierten Berechnung. Weil die Kinder-Regelsätze prozentuale Abschläge von den monatlichen Sätzen für Erwachsene sind, kommt der kindspezifische Bedarf zu kurz. Ein Fünfjähriger bekommt pro Monat 79 Cent für Spielzeug und 4,75 Euro für Schuhe, obwohl er die meiste Zeit spielt und seine Füße schnell wachsen. Eine 15-Jährige bekommt keinen Cent für Nachhilfeunterricht, 4,55 Euro für Bücher und 2,49 Euro für Urlaub. Davon kann sie sich alle zwei Monate ein Taschenbuch kaufen und braucht nicht einmal daran zu denken, eine Jugendfreizeit mitmachen zu wollen.
Anpassung an steigende Preise?
Als einer der ersten schlug der Kinderschutzbund Alarm und forderte zwei Jahre nach dem Start von Hartz IV, die einmaligen Beihilfen aus der früheren Sozialhilfe wieder einzuführen. Zwei Millionen Kinder lebten damals von Sozialgeld, seit 2005 war ihre Zahl ständig gestiegen. In den Hartz-IV-Haushalten fehlte zum Ferienbeginn das Geld fürs Schwimmbad und zum Schuljahresanfang das Geld für neue Hefte. Die Eltern hätten es, so die Logik von Hartz IV, über das Jahr ansparen müssen.
Die große Koalition reagierte - zwei Jahre später - mit einer Extra-Zahlung, zunächst Schulstarterpaket genannt. Schüler, deren Eltern Hartz IV beziehen, erhalten heute 100 Euro pro Jahr für Schulsachen - inzwischen auch bis zum Abitur. Anfangs gestand die Politik den unterprivilegierten Kindern das Geld nur bis zum Haupt- oder Realschulabschluss zu. Analog zum Schulstarterpaket könnten die Karlsruher Richter für weitere Öffnungsklauseln sorgen.
Schließlich wird vom Bundesverfassungsgericht ein Hinweis darauf erwartet, wie die Hartz-IV-Sätze an steigende Preise angepasst werden sollen. Manchem mögen noch die hochschnellenden Milchpreise im Sommer 2007 in Erinnerung sein. Bisher werden die Hartz-IV-Regelsätze in Anlehnung an die Renten erhöht - was Nullrunden einschließt - und was Experten als realitätsfern ansehen. Der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer: "Ebenso gut könnte man sich am Anstieg des Meeresspiegels orientieren."