Weitere Missbrauchsfälle bei katholischer Kirche
In der katholischen Kirche gibt es 90 Verdachtsfälle auf Kindesmissbrauch in den vergangenen Jahren. Der Jesuitenorden warnte unterdessen vor einem "Generalverdacht".

Nach Bekanntwerden von zahlreichen Missbrauchsfällen an deutschen Jesuitenschulen hat der frühere Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, der Jesuit Eberhard von Gemmingen, vor einem Generalverdacht gegen seinen Orden gewarnt. Zugleich zog er seinen zunächst im Interview mit der "Heilbronner Stimme" geäußerten Satz, auch in der Nazizeit hätten Verfehlungen einzelner Juden zur Verfolgung einer ganzen Bevölkerungsgruppe geführt, zurück.

Nach Informationen des Magazins "Spiegel" vom Samstag gerieten seit 1995 mindestens 97 Kleriker und Laien in der katholischen Kirche unter Missbrauchsverdacht geraten. Dies ergab eine Umfrage des Magazins bei allen 27 deutschen Bistümern. Viele Fälle seien zum Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens jedoch bereits verjährt gewesen. Aktuell stehen demzufolge mindestens zehn Kirchendiener unter Missbrauchsverdacht.

Änderung bei Ausbildung

Derweil erwägt die katholische Deutsche Bischofskonferenz Änderungen bei der Ausbildung und Begleitung von Pfarrern. Wo Studenten und Priester noch nicht ausreichend unterstütz würden, "in ihre sittliche Weiterentwicklung auch die Sexualität einzubeziehen, müssen wir nach Verbesserungen suchen", sagte der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, der "Frankfurter Rundschau" (Samstagsausgabe). "Wir müssen uns fragen, ob die Leitlinien der Bischöfe von 2002 zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch durch Geistliche bereits optimal umgesetzt werden", sagte der Jesuit Langendörfer. "Ich erlebe ein Gesicht meines Ordens, das es für mich bislang nicht gab und das mich sehr erschreckt."

Zugleich warnte auch er vor "angstgeprägten oder von Ressentiments geleiteten Überreaktionen". Zudem wehrte sich Langendörfer dagegen, die katholische Moral und den Zölibat der Priester für den Kindesmissbrauch verantwortlich zu machen. "Der Zölibat schafft keine Missbrauchstäter", betonte er. Den Opfern und untadeligen Seelsorgern sei man es schuldig, genau hinzusehen, statt eilfertig Thesen aufzustellen. Nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft sei die Tragweite pädophiler Neigungen völlig falsch eingeschätzt worden. "Wir haben dazugelernt und wollen Aufklärung, um helfen zu können."

Untersuchung angekündigt

Auch Gemmingen begrüßte eine Aufklärung der Fälle. Zugleich nahm er einen der beschuldigten Patres in Schutz: "Ich stehe zu ihm. Der hat gesündigt", sagte von Gemmingen. Sein nur im Internet veröffentlichter Nazivergleich hatte noch am Freitagabend für Wirbel gesorgt. Die deutschen Jesuiten hatten sich daraufhin entschieden von seiner Äußerung distanziert. Sie sei "vollkommen inakzeptabel", erklärte der Chef der deutschen Jesuitenprovinz, Stefan Dartmann.

Ende Januar waren sexuelle Übergriffe an einer katholischen Eliteschule, dem Canisius-Kolleg in Berlin, und an weiteren Orten wie Hamburg, Bonn und in Sankt Blasien bekanntgeworden. Dartmann hatte sich zu Beginn der Woche im Namen des Ordens bei den Opfern entschuldigt und eine umfassende Untersuchung der Ereignisse aus den 70er und 80er Jahren angekündigt.

epd