Unversteuertes Geld: Der "Notgroschen"
Wenn Menschen mehr Geld anhäufen, als sie eigentlich benötigen, ist immer von der Gier die Rede: Eine Radioandacht aus der Reihe "Gedanken zur Woche" (Deutschlandfunk) über Steuersünder und "Notgroschen".
05.02.2010
Von Jörg Machel

Ich bin mit einer alten Dame im Berliner Münzmuseum verabredet, das sie mir zeigen will. Ihr Name könnte auf den Datensätzen zu finden sein, über die jetzt so leidenschaftlich gestritten wird. Sie hat unversteuertes Geld auf einem Schweizer Konto geerbt, und sie lässt es dort liegen. Sie nennt es ihren „Notgroschen“. Als kleines Kind hat sie die Inflation miterlebt, als junge Frau die Währungsreform und so hat sie gelernt: Geld ist wichtig, aber nicht sicher. Und das gilt selbst für so wertvolle Münzen, wie hier in den Vitrinen. Die Münzsammlung ihres Vaters zum Beispiel ist in den Berliner Bombennächten verloren gegangen. Die Frau ist hoch betagt und kinderlos. Ihr Erbe wird sie wohltätigen Zwecken zukommen lassen. Auch das Geld in der Schweiz wird auf diese Weise am Ende voraussichtlich dem Gemeinwohl dienen.

Öffentliche Reaktionen erfolgen erwartungsgemäß

Immer ist von der Gier die Rede, wenn Menschen, mehr Geld anhäufen, als sie eigentlich benötigen. Ich zweifle daran, dass man das so pauschal sagen kann. Ich denke, bei vielen ist es eine unbestimmte Angst, die sie antreibt, zu raffen und sich abzusichern. Auf der anderen Seite ist bei der Debatte viel Heuchelei im Spiel. Wenn ein Schweizer Minister verkündet, dass sein Vertrauen schwer erschüttert wäre, wenn Deutschland für geklaute Daten auch noch zahlen würde, dann muss ich über meinen Vertrauensverlust gegenüber der Schweiz klagen, die illegale Geldgeschäfte noch immer schützt. Die öffentlichen Reaktionen erfolgen erwartungsgemäß: Wirtschaftsnahe Kreise warnen vor dem Ankauf illegal beschaffter Daten, die Gewerkschaft der Polizei bezeichnet solche Maßnahmen dagegen als legal und üblich. Und nun kann sich jeder von uns entscheiden. Spannend wird es, wenn die eigene Argumentation auch in anderen Lebenszusammenhängen gelten soll.

Ich bin froh, mich nicht entscheiden zu müssen

Wer hier die Herausgabe der Daten fordert, wird auch in anderen Bereichen des Datenschutzes eine weite Auslegung ertragen müssen. Und wer durch sein Rechtsbewusstsein die Schwarzgeldkonten in der Schweiz schützt, sollte genauso engagiert für die Rechte der kleinen Gauner streiten. Ich bin froh, mich nicht entscheiden zu müssen. Es ist eine schwierige Güterabwägung, bei der in jedem Fall ein Schaden entsteht, auf der einen oder auf der anderen Seite. Als Pfarrer kann ich es mir leisten, ganz unkonventionell zu denken. Wenn man nicht möchte, dass der Staat mit dem Datendieb Geschäfte macht, dann wäre es ja vielleicht denkbar, dass die Hartz 4 Empfänger zusammenlegen und die Daten-CD kaufen. Das wäre durchaus bezahlbar: nur 37 Cent für jeden. Und vom finanziellen Rückfluss wäre dann vielleicht sogar ein kleines Weihnachtsgeld drin. Eine schöne Aktion fände ich auch, wenn Schüler und Studenten, Arbeitslose und Alleinerziehende an den Schweizer Grenzübergängen Zettel verteilten und den Geldtouristen erklären, wofür sie das Geld dringend brauchen, das ihnen da gerade entzogen wird.

Der Frust mit dem Umgang der Steuern

Wie gesagt, ich zweifle daran, dass es allein die Gier ist, die gutbürgerliche Menschen in die Kriminalität treibt. Neben der Angst vor der Zukunft ist es wohl vielfach auch die Frustration darüber, wie mit den Steuern umgegangen wird. Bei mir in Berlin-Kreuzberg gibt es eine riesige Frustration über die Schulsituation. An manchen U-Bahnstationen gewinnt man den Eindruck, dass der Staat vor den Drogendealern kapituliert hat und nur noch die schlimmsten Auswüchse bekämpft. Soziale Projekte, die wunderbar angelaufen sind, werden nach drei vier Jahren eingestellt, weil sie ja nicht auf Dauer angelegt sein sollen; nur um kurz danach wieder mit neuen Ideen in die gleiche sinnlose Schleife zu gehen. Würden die Leute, die mit ihrem Schwarzgeld in die Schweiz fahren, begreifen, dass sie mit ordentlich entrichteten Steuern ihr Vermögen und ein gutes Zusammenleben hier in der Bundesrepublik langfristig sichern, indem sie für das Gemeinwohl sorgen, wäre die Diskussion über Datenklau und Datenkauf vielleicht sogar überflüssig.


Jörg Machel wurde 1952 in Frankfurt an der Oder geboren. Zur Kirche fand er, als seine Lehrer ihm unbedingt die Religion austreiben wollten. Ökumenische und spirituelle Anregungen bekam er während eines Vikariats in Indien. Als Gemeindepfarrer in Berlin-Kreuzberg begleitet er Menschen in schönen und schwierigen Lebenssituationen. Die ethnische, soziale und kulturelle Vielfalt ist groß in diesem Stadtquartier. In einem Masterstudiengang an der Europa-Universität Viadrina hat sich Jörg Machel zum Mediator ausbilden lassen, um in Konflikten professionell vermitteln zu können. Er ist verheiratet und seit 1997 Vater einer Tochter. Aus all dem ergibt sich hinreichend Stoff für seine Beiträge als Hörfunkautor.