Neulich unterhielten wir uns im Kollegenkreis darüber, wie sehr sich doch unsere Kaufgewohnheiten in den letzten Jahren verändert haben. Schnell waren wir uns einig: Noch vor ein paar Jahren haben wir Bücher in der Buchhandlung, Musik im Plattenladen, Kleidung im Fachgeschäft oder Warenhaus und elektrische oder elektronische Geräte im Elektro-Markt gekauft. Und heute? Heute kaufen die meisten von uns all das im Internet. Es ist ja auch so schön praktisch: Gegenstand aussuchen, ihn in den virtuellen "Einkaufswagen" legen und digital "zur Kasse gehen". Ein paar Tage später bringt der Paketwagen dann alles bequem ins Haus. Und was nicht gefällt, wird einfach zurückgeschickt.
Unter Beobachtung
So viel Komfort hat aber seinen Preis. Und ich meine jetzt nicht den ausgewiesenen Kaufpreis des Buchs, Pullovers oder CD-Pakets. Ich meine den Preis, den wir dabei bezahlen, ohne dass wir es wollen oder gar bemerken: Internet-"Warenhäuser" wie Amazon oder der iTunes Store führen nämlich peinlich genau Buch darüber, was wir dort kaufen und wofür wir uns interessieren. Auch wenn wir uns nur ein Buch anschauen oder die technischen Daten eines Gerätes studieren – das System registriert und speichert es. Deutlich sichtbar wird das zum Beispiel bei Amazon, wo man nach dem Einloggen meistens ziemlich passgenaue Tipps für weitere Einkäufe präsentiert bekommt. Diese Daten werden gesammelt und zu einem immer detaillierter werdenden Profil verdichtet. Die Beobachtung bei Amazon funktioniert sogar dann, wenn man sich nicht auf der Seite eingeloggt hat. Wer also unbeobachtet einen ausgedehnten virtuellen Einkaufsbummel machen will, der sollte das ohne vorheriges Einloggen tun und seinen Browser so einstellen, dass er Cookies nicht akzeptiert. Und wer ganz sicher gehen will, der sollte dann nach dem Bummel auch noch den Speicher ("Cache") des Browsers löschen.
Keine geheimen Wünsche
Was genau mit all den Profilen geschieht, darüber kann man nur spekulieren. Und ich finde, das ist genau das Problem – man weiß gar nicht genau, was da passiert. Man kann sich nicht wirklich sicher sein, wer da was speichert und für was diese Information verwendet wird. Solange ein Warenhaus wie Amazon die Daten nur benutzt, um mir bei meinem nächsten Besuch interessante Angebote machen zu können, hätte ich dagegen nichts einzuwenden. Sicher sein kann ich da aber nicht. Da wäre zum Beispiel die Funktion der "Wunschzettel": Wer beim Bummeln durch die Seiten von Amazon etwas Interessantes entdeckt, er oder sie sich das Buch oder die Massagematte aber nicht sofort kaufen will, der kann den Gegenstand auf eben dieser Wunschliste notieren. Ruft man die Liste später noch einmal auf, muss man nicht von neuem nach dem jeweiligen Gegenstand suchen. So weit so gut. Was aber wohl nur die Wenigsten wissen: Diese Wunschliste ist offen im Internet einsehbar. So fördert die Eingabe eines Namens in eine Suchmaschine wie Google auch dessen Amazon-Wunschliste zutage. Von geheimen Wünschen kann da dann wohl nicht mehr die Rede sein. Erst dann, wenn man es so einstellt, dass niemand außer dem Besitzer selbst den Wunschzettel sehen darf, ist die Liste nicht mehr einsehbar.
Verkehrte Welt
Schon heute ist es so ziemlich jedem halbwegs technisch versierten Internet-Surfer möglich, in relativ kurzer Zeit aus allgemein zugänglichen Datenpools ein recht umfangreiches Persönlichkeitsprofil über einzelne Menschen zusammen zu stellen – wenn sich diese nicht aktiv darum bemüht haben, im Netz möglichst wenige Spuren und Daten zu hinterlassen. Ich finde, es müsste genau andersherum sein: Prinzipiell müsste es Betreibern von sozialen Netzwerken, Internet-Kaufhäusern und sonstigen Diensten untersagt sein, die Daten ihrer Nutzer zu sammeln und zu verwenden. Das müsste die Grundeinstellung auf all diesen Webseiten sein. Nur wer aktiv zustimmt, dessen Daten dürften veröffentlicht, weitergegeben und genutzt werden. Eine solche Regelung würde aber wohl nur per Gesetz durchsetzbar sein. Denn darauf zu hoffen, dass die Unternehmen von selber so etwas wie eine Verpflichtung spüren, wirklich verantwortungsvoll mit den Daten ihrer Nutzer umzugehen, das wäre mehr als naiv. Konsum-Striptease Aber: Es gibt offensichtlich auch Menschen, denen die Nutzung ihrer Daten nicht nur egal ist, sondern die da eher exhibitionistisch veranlagt sind. Ein gutes Beispiel dafür ist etwa der noch recht neue Dienst "Blippy". Dort kann man live verfolgen, was die eingetragenen Nutzern gerade online gekauft und was sie dafür bezahlt haben. Und man kann es nicht nur sehen sondern auch kommentieren. Ohne Worte. Ich frage mich ernsthaft, was als Nächstes kommt.
Über den Autor: Michael Stein (Konfirmation 1976) arbeitet seit 1986 als Wissenschaftsjournalist mit Schwerpunkt Technik für Radio, Fernsehen, Print- und Online-Medien. Parallel zum Beruf studiert er seit 2004 in Wuppertal und Bochum Evangelische Theologie, um irgendwann einmal Journalist und Pfarrer zu sein. Für evangelisch.de schreibt er in seiner Kolumne "Maschinenraum" jede Woche über Technik, was wir mit ihr machen -und was sie mit uns macht.