Missbrauchsvorwürfe: Kritik an "Kartell des Wegschauens"
Selbstkritik in der katholischen Kirche angesichts der Missbrauchsfälle an Jesuitenschulen: Die Täter seien "viel zu lange geschützt worden", sagte ein Jesuit, der bei Radio Vatikan in leitender Funktion arbeitet.

Bernd Hagenkord, Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan, sagte am Dienstag in Rom weiter, es habe ein "Kartell des Wegschauens" gegeben. Der frühere Bischof von Hildesheim, Josef Homeyer, sagte zu Fällen in seinem Bistum in den 90er Jahren: "Aus heutiger Sicht haben wir die Vorwürfe zu wenig ernst genommen."

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz verhält sich unterdessen abwartend. Ob das Thema bei der nächsten Vollversammlung der Bischofskonferenz angesprochen werde, könne er nicht sagen, sagte Sprecher Matthias Kopp dem epd in Bonn. Die katholischen Bischöfe kommen in drei Wochen in Freiburg zu ihrer Frühjahrstagung zusammen.

"Ruf der Kirche nicht über Schutz der Opfer stellen"

Die Missbrauchsvorwürfe richten sich gegen zwei frühere Patres an der katholischen Eliteschule Canisius-Kolleg in Berlin. Mittlerweile haben sich 25 Opfer gemeldet. Neben 20 Fällen in den 70er und 80er Jahren in Berlin sind inzwischen auch Missbrauchsfälle in Hamburg, in St. Blasien im Südschwarzwald und im Bistum Hildesheim bekannt geworden. Wegen der Fälle in St. Blasien, wo Pater Wolfgang S. sich an Schülern vergangen haben soll, leitete die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen am Dientag ein Ermittlungsverfahren ein.

Hagenkord forderte die Umsetzung der 2002 von der Deutschen Bischofskonferenz eingeführten Regelungen im Umgang mit Missbrauchsfällen. Diese sähen vor, "dass man an die Öffentlichkeit geht und nicht den Ruf der Kirche über den Schutz der Opfer stellt". Kopp erklärte: "Diese Richtlinien sind unmissverständlich und nach wie vor Grundlage unseres Handelns." Inwieweit sie von den einzelnen Bistümern und Ordensgemeinschaften tatsächlich umgesetzt werden, könne die Bischofskonferenz nicht beurteilen.

Tragweite "eindeutig unterschätzt"

Das Bistum Hildesheim zeigte sich bestürzt über die Missbrauchsvorwürfe. Einer der beschuldigten Pater, Peter R., arbeitete nach Angaben eines Sprechers von 1982 bis 2003 mit kurzen Unterbrechungen im Bistum, unter anderem als Jugendseelsorger. Dabei sei es auch zu sexuellen Übergriffen gekommen. Zwei Fälle seien dem Bistum bekannt. Altbischof Homeyer räumte ein, die Tragweite der Entwicklungen habe man "eindeutig unterschätzt". Dies bedauere er zutiefst.

Der Chef der deutschen Jesuitenprovinz, Stefan Dartmann, hatte sich am Montag im Namen des Ordens bei den Opfern entschuldigt. Der Orden war spätestens seit 1991 über einen Teil der Vorgänge informiert.

Die Entschuldigung könne "nur ein erster Schritt" sein, erklärte der Vorsitzende von "Wir sind Kirche", Christian Weisner, im RBB-Hörfunk. Die Kirche mache es sich zu einfach, wenn sie die jüngsten Vorkommnisse als Einzelfälle und nicht als Folge eines Strukturproblems betrachte. Wenn eine ganz strenge Sexualmoral und "ein autoritäres System" zusammenkämen, ergebe dies eine gefährliche Mischung.

epd